Digitalisierung: Muster, die Menschen nicht mehr finden

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Algorithmen können bei der Identifizierung ungenützter Transportkapazitäten auf der Straße helfen oder autonome Frachtzüge und Lkw dirigieren. Viele Anwendungen stecken derzeit aber noch in den Kinderschuhen.

Grundsätzlich stellt künstliche Intelligenz eine große Chance für die Logistik dar“, sagt Markus Gerschberger vom Logistikum an der FH Steyr. Kein Wunder, nimmt doch die Datenmenge, die Unternehmen, Infrastrukturanbieter sowie deren Kunden generieren, laufend zu. „Die KI findet in diesen Datenstrukturen Muster, die Menschen nicht mehr finden können“, erklärt Martin Riester, Gruppenleiter Logistiksysteme und Transport bei Fraunhofer Austria Research. Und kann so dazu beitragen, Prozesse und Abläufe zu verbessern oder genauere Vorhersagen zu treffen.

Dementsprechend groß sei das Potenzial in ausgewählten Anwendungsbereichen, so Gerschberger. Wie etwa in der Analyse des Bestellverhaltens: „Kann ich den tatsächlichen Bedarf meiner Kunden sowie deren Kunden besser abschätzen, habe ich weniger Unsicherheit und in weiterer Folge weniger Sicherheitsbestand im Gesamtsystem“, weiß der Professor. Weiters könne die KI Unternehmen, die viele kundenindividuelle Varianten mit schwankender Nachfrage anbieten, dabei unterstützen, diese Aufträge zu sinnvollen Losgrößen zu bündeln. Auch die Touren- sowie die Kapazitätsplanung können damit verbessert werden.

Selbstlernende Steuerung

Riester untersucht seit Anfang des Jahres gemeinsam mit Forschungs- und Unternehmenspartnern in einem Forschungsprojekt, ob und wie mithilfe der KI Transport- und Intralogistik zur nachhaltigen Distribution systemübergreifend gesteuert werden kann. „Wir wollen es der verladenden Wirtschaft künftig ermöglichen, nach dem Vorbild des Physical Internet anbieterunabhängige Transportkapazitäten effizient zu nutzen“, erklärt der Experte. Dazu werden inner- und außerbetriebliche Systemparameter kontinuierlich erfasst. Die Echtzeitdaten fließen in einen Machine-Learning-Algorithmus, der Warenbereitstellung seitens Verlader und dynamische Transportkapazitäten, in Form von Crowdsourcing Delivery, optimal koordiniert. Ziel ist die selbstlernende Steuerung an der Schnittstelle von Transport- und Intralogistik zur systemübergreifenden Optimierung dieser heute sequenziell gesteuerten Teilbereiche. „Die Zahl der Pakete steigt und wird es weiter tun. Das führt zu mehr Fahrzeugen und Tonnage auf der Straße“, sagt Riester. Gleichzeitig sei jedoch viel ungenützte Transportkapazität unterwegs – sei es als Leerfahrten von Lkw, sei es in Gestalt von Pkw. „Schätzungen gehen davon aus, dass allein auf der Tangente in Wien diese ungenützte Transportkapazität 430 Lkw entspricht.“ Die konsequente Nutzung der Restkapazitäten der sich ohnehin auf der Straße bewegenden Fahrzeuge würde den Verkehr deutlich reduzieren, ist Riester überzeugt.

Zum Einsatz kommen digitale Verfahren aber auch zunehmend bei den Transportmitteln selbst – etwa beim autonomen Fahren. Der staatliche französische Bahnbetreiber SNCF beispielsweise will gemeinsam mit Industriepartnern bis 2023 Prototypen für Regional- und Frachtzüge entwickeln, die ohne Lokführer auskommen. Zwei Jahre später sollen die selbstfahrenden Züge im normalen Verkehr eingesetzt werden. Sie sollen die Kapazität des Bahnverkehrs erhöhen, da dank geringeren Abstands bis zu 30 Prozent mehr Züge auf der gleichen Strecke fahren könnten. Außerdem versprechen die Beteiligten des Projekts eine bessere Pünktlichkeit. Als große Hoffnung im Transportsektor wird auch das Platooning gehandelt. Das elektronisch gesteuerte Kolonnenfahren mehrerer Lkw, das als Vorstufe zum voll automatisierten Fahren gilt, soll die Fahrer entlasten, zu mehr Sicherheit führen und durch bessere Aerodynamik Treibstoff einsparen. Erst kürzlich hat jedoch Daimler Trucks dieser Technologie den Rücken gekehrt. Langjährige Versuche in den USA hätten gezeigt, dass der Nutzen der elektronisch gekoppelten Lastzüge in der Praxis deutlich hinter dem prognostizierten Potenzial zurückbleibe, heißt es aus dem Unternehmen.

Akteure als Schwachstelle

Dass auf dem Weg von der Testphase zum Regeleinsatz gelegentlich Stolpersteine liegen, wundert die Experten nicht. „Die KI in der Logistik steckt noch in den Kinderschuhen“, gibt Riester zu. Eine große Herausforderung beim Erwachsenwerden sei die Menge und Qualität der Daten. Hinzu komme, dass logistische Wertschöpfungsnetzwerke komplexe Systeme seien, die auf grundlegenden Zusammenhängen und individuellen Entscheidungen der jeweiligen Akteure basieren würden. „Aber nicht jeder Akteur im Netzwerk hat die gleichen Informationen zur Verfügung. Das ist häufig auch so gewollt, weil es aus Unternehmenssicht sinnvoll scheint, nicht jede Information mit Kunden oder Lieferanten zu teilen“, weiß Gerschberger. Das individuelle und teilweise irrational erscheinende Verhalten der Netzwerkakteure sowie die nicht durchgängige Informationstransparenz im Gesamtnetzwerk würden netzwerkweite KI-Anwendungen daher schwierig machen. „KI ist aktuell ein gehyptes Thema, aber allein wird sie die Welt der Logistik nicht revolutionieren“, meint Gerschberger.

AUF EINEN BLICK

Am Frauenhofer-Austria-Research-Institut in Wien arbeitet man im Rahmen eines Forschungsprojekts an Methoden zur besseren Nutzung von Transportkapazitäten. Mittels Datenanalysen, selbstlernender Algorithmen und der Vernetzung der einzelnen Akteure könnten künftig Warenströme nach dem Vorbild des Versands von Datenpaketen im Internet gelenkt werden. Was theoretisch auf einem guten Weg ist, trifft in der realen Welt auf Hindernisse: Nicht alle Akteure des Warenverkehrs sind bereit, ihre Daten zu teilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2019)

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