Belgien: Mehr als Frites, Bier und EU

Geschichte.Ein neues exzellentes Handbuch räumt mit belgischen Klischees auf.

Anfang Mai sorgte Bart de Wever, Bürgermeister von Antwerpen und Vorsitzender der flämischen Nationalistenpartei N-VA, mit dem Buch „Über Identität“ für Rauschen im belgischen Blätterwald. Das Königreich werde sich sanft von selbst auflösen, es blieben „nur einige symbolischer Markierungen wie die Schokolade, die Muscheln mit Fritten“.

Vor der Wahl des föderalen Parlaments (sowie jener der Parlamente Flanderns, der Wallonie und der Region Brüssel) am 26. Mai wird das Bild des nur künstlich zusammengehaltenen Landes wohl erneut in den ausländischen Medien gezeichnet werden – und es ist nicht übertrieben. Wie konnte es so weit kommen? Christoph Driessen, Leiter des Kölner Büros der Deutschen Presse-Agentur, hat mit „Geschichte Belgiens. Die gespaltene Nation“ einen hervorragenden und flott zu lesenden Wegweiser durch zwei Jahrtausende Geschichte jenes Fleckens Europas verfasst, auf dem 1830 das Königreich Belgien entstanden ist. Gleich zu Beginn räumt er mit dem ahistorischen Vorurteil auf, Belgien sei gleichsam ein „künstlicher Staat“: „Alle Großmächte bis auf Frankreich wollten, dass Belgien mit den Niederlanden in einem gemeinsamen Königreich vereint blieb.“ Auch das Klischee, wonach Flamen und Wallonen einander seit jeher in monolithischen Sprachblöcken gegenüberstehen, ist falsch: Sprache war seit dem Mittelalter sozial bestimmt, nicht geografisch. Der Graf von Flandern beispielsweise, dessen Bauernheer 1302 bei Kortrijk in der (von flämischen Nationalisten mythisch überhöhten) „Schlacht der Goldenen Sporen“ ein Ritterheer des Königs von Frankreich vernichtete, sprach Französisch, nicht Niederländisch. Den Sprachenstreit heizten die Deutschen im Ersten Weltkrieg bewusst an. Das Deutsche Reich werde bei Friedensverhandlungen daraus Nutzen ziehen, „wenn wir auf eine vorhandene starke national-flämische Bewegung hinweisen können“, wies Reichskanzler Bethman Hollweg 1915 seinen Generalgouverneur in Brüssel an. (go)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2019)

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