Sehnsucht der Mädchen, ein Mann zu sein

Mona Al Qadiris „Phantom Beard“ versucht vergebens, Kultus und Kunst zu fusionieren.

Ein Meteorit dreht sich zu Beginn dieser Performance bei den Wiener Festwochen im Schauspielhaus dem Publikum entgegen. In der Imagination erscheinen diese Himmelskörper immer explosiv, sie rasen, verglühen, verheeren. Gut, Mona Al Qadiris „Phantom Beard“ ist kein naturwissenschaftliches Exempel, sondern eins mit Kulten, was mit der Biografie der Performerin zu tun hat: Sie wurde 1983 im Senegal geboren, wuchs in Japan auf, hat kuwaitsche Wurzeln – und ein Doktorat in intermedialer Kunst. „In ihrer Forschung“, lesen wir im Programmfolder, „konzentriert sie sich auf die Ästhetik der Traurigkeit im Nahen Osten“. Stoff gibt es da genug.

Monira Al Qadiri hat Konzeptkunst nach Wien mitgebracht, auch hierzu finden wir Spannendes im Programmfolder: „Als hoch aufragendes Totem im Zentrum der arabischen Gesellschaft gilt der Mann als Rezeptor und Botschafter der gesamten Palette menschlicher Emotionen.“ Auf der Bühne erscheint er in Form von Spermien, die über die Videowand schweben, aggressiv wirkt vorerst wenig, eher ist die Aufführung, die bloß 50 Minuten dauert, meditativ, um nicht zu sagen langweilig. Wiewohl recht Dramatisches vorgeht: Inspiriert vom asiatischen (oder afrikanischen) Ahnenkult, den zum Beispiel Disney im Animationsfilm „Mulan“ anschaulich gemacht hat, wird Mona Al Qadiri von Geistern verfolgt, die eine schreckliche Geschichte von Vernichtung erzählen, für diese machen sie Al Qadiri verantwortlich.


Wo ist die große Urmutter? Sie verwehrt sich begreiflicherweise gegen die Schuldzuweisungen, weder kann sie die Gräuel, die zu Zeiten ihrer Urgroßmutter, deren Namen sie trägt, vorgefallen sind, ungeschehen machen, noch kann sie die Männer erlösen. Im Zentrum dieser Aufführung aber steht eine häufige Sehnsucht kleiner Mädchen: Ein Bub zu sein. Heute ist dieser Wunsch nicht mehr so stark, weil Mädchen im Westen fast alles machen können (es fällt z. B. auf, dass Reisebücher über gefahrvolle Gegenden nicht selten von allein reisenden Frauen geschrieben werden). Aber früher wollten Mädchen oft Knaben oder Burschen sein – und in repressiven Kulturen ist das wohl auch heute noch so.

Al Qadiri zieht sich also die Dishdasha an, sie probiert verschiedene Posen aus, während hinter ihr ein von der Technik vervielfachter Chor spricht, ein Modell aus der griechischen Tragödie. Später sitzt die Frau in einem goldenen Overall in einem Glaskasten. Sie hat erkannt, dass die männliche Gruppendynamik in – nennen wir es ruhig so – Machogesellschaften auch ihre Tücken für die Herren hat, das Ausscheren aus der Konvention ist unbeliebt, nicht vorgesehen, man kann leicht ausgelöscht werden, wenn man aus der Reihe tanzt, im Video geht das rasch, gewaltlos.

Eine interessante Soundcollage, eine Art Sprachmusik, ergibt sich aus der Mischung von Arabisch und Japanisch (mit Untertiteln). Insgesamt aber wirkt diese Uraufführung, anders als das Konzept, das Aufschluss über ferne geistige Welten versprach, eher geheimnislos und öde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2019)

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