Ibiza lässt grüßen: Illegale Abhörung – jetzt auch in Brasilia

Der brasilianische Justizminister gerät durch illegale Gesprächsmitschnitte in Bedrängnis.
Der brasilianische Justizminister gerät durch illegale Gesprächsmitschnitte in Bedrängnis. REUTERS
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Der brasilianische Justizminister gerät durch illegale Gesprächsmitschnitte in Bedrängnis. Der Skandal könnte Ex-Präsident Lula nützen.

Buenos Aires/Brasilia. Ibiza ist überall. Auch Brasiliens Hauptstadt wird nun durch illegale Mitschnitte schwer erschüttert. Es geht um die zentrale Figur in der Justiz des Landes, um die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung von Ex-Präsident Lula da Silva und auch um die Legitimität der Regierung von Jair Bolsonaro. Dessen Wahlsieg im Oktober mit 55 Prozent war ja auch deshalb so deutlich ausgefallen, weil der Gründer der Arbeiterpartei PT im Gefängnis saß.

Im Zentrum des Skandals steht der vormalige Richter Sérgio Moro, der seit Jahresanfang das Justizministerium in der Regierung Bolsonaro leitet. Er koordinierte seit 2013 die größte Finanzermittlung in der Landesgeschichte, es ging um den Schmiergeldsumpf im Umfeld der halbstaatlichen Ölgesellschaft Petrobras. Im Juli 2017 wurde Lula da Silva zu neun Jahren und sechs Monaten verurteilt − wegen Korruption und Geldwäsche. Sergio Moro hat das Urteil verhängt. Weil die Verurteilung weitgehend auf der Kronzeugenaussage eines Bauunternehmers basierte, der sein eigenes Strafmaß durch die Belastung Lulas erheblich reduzierte, fragten sich viele, ob hinter Moros Furor nicht auch politische Absichten stünden.

Dies scheint sich nun zu bestätigen. Das Internetmedium The Intercept veröffentlichte Gespräche, die Sérgio Moro mit Staatsanwalt Deltan Dallagnol über die Telefon-App Telegram geführt hatte. Darin versucht der Richter, die Zweifel des Anklägers über die dünne Beweislage zu zerstreuen. In einem Mitschnitt ist zu hören, wie die Ermittler eine Strategie entwerfen, um dem inhaftierten Lula kurz vor den Wahlen 2018 ein Zeitungsinterview zu verbieten, das womöglich dem PT-Kandidaten geholfen hätte.

Keine rechtliche Beweiskraft

Das Onlineorgan The Intercept“ das dem in Brasilien lebenden US-Journalisten Glenn Greenwald gehört (er hat 2013 auch die Enthüllungen des US-Whistleblowers Edward Snowden veröffentlicht), gab an, die Mitschnitte von einer anonymen Quelle zugespielt bekommen zu haben.

Kein Zweifel besteht daran, dass sie ohne richterliche Genehmigung angefertigt wurden und somit keine rechtliche Beweiskraft haben. Aber politisch könnten sie Schaden anrichten. Das linke Spektrum verlangte die Freilassung Lulas und den Rücktritt Moros.

Aber nicht nur die PT sinnt auf Rache. Viele Mitglieder der traditionellen politische Elite haben durch die Petrobras-Ermittlungen Einfluss und Pfründe verloren. Senator Renan Calheiros denunzierte eine „Verschwörung von Richtern und Staatsanwälten im Namen eines Machtprojekts“, die „irreversible Schäden an Demokratie, Wirtschaft und Ansehen verursacht“ habe. Calheiros forderte eine Untersuchung gegen Moro und Dellagnol sowie neue Gesetze gegen Amtsmissbrauch.

Die Allianz aus Moros vielen Feinden könnte nun den mühsam ausgehandelten Burgfrieden zwischen Regierungspalast und Parlament erneut gefährden. Nach monatelangem offenem Konflikt hatte sich Präsident Bolsonaro zuletzt um Verständigung mit den Parlamentariern bemüht, um essenzielle Wirtschaftsreformen voranzubringen. Zuletzt stellte sich der Präsident hinter seinen Minister und verlieh dem inkriminierten Richter einen Orden.

Ex-Präsident Lula könnte der Skandal helfen. Am 25. Juni wird der Oberste Gerichtshof einen Antrag der PT behandeln, in dem Sérgio Moro Parteilichkeit vorgeworfen wird. Sollten die Höchstrichter, die fast alle noch zu Zeiten der PT-Regierung ins Amt kamen, dem heutigen Justizminister die Unparteilichkeit absprechen, könnte Lula das Gefängnis ohne elektronische Fußfessel verlassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2019)

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