Rückblick: Ein Königsweg mit Abhängigkeiten

Die Schweiz hat bis heute ein Defizit in der Zusammenarbeit mit der EU. Sie muss Regeln nachvollziehen, ohne sie selbst mitbestimmen zu können.

Bern. Die Schweiz hat sich für einen Sonderweg in der Zusammenarbeit mit der EU entschieden. Die auch als Königsweg bezeichnete Alternative zum Beitritt brachte aber nicht nur Vorteile:

Nein zu EWR-Beitritt. Nach einem Nein der Eidgenossen zu einem EWR-Beitritt im Jahr 1992 musste die Schweizer Regierung ursprüngliche Pläne zu einem EU-Vollbeitritt zurückziehen. Sie suchte stattdessen eine alternative Anbindung an den EU-Binnenmarkt, um wirtschaftliche Nachteile zu verhindern.

Bilaterale I. Bis 1999 wurden sieben bilaterale Verträge mit der EU ausverhandelt, mit denen sich die Schweiz an der Personenfreizügigkeit, am Abbau technischer Handelshemmnisse, an öffentlichen Ausschreibungen, dem Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, Forschung, Luftfahrt und Verkehr beteiligte. Die Abkommen wurden bei einem Referendum im Jahr 2000 zu 67,2 Prozent befürwortet.

Bilaterale II. Weil sich die EU weiterentwickelte, wurden weitere bilaterale Verträge notwendig. Bis 2004 wurde ein neues Paket an Vereinbarungen geschnürt. Es umfasst eine Beteiligung am Schengen-Raum, an der Zusammenarbeit von Justiz und Polizei sowie am gemeinsamen Asylwesen. Auch diese Ausweitung der Zusammenarbeit wurde von der Bevölkerung per Referendum 2006 mit 53,4 Prozent abgesegnet.

Zahlungen an EU. Die Schweiz öffnete im Gegenzug nicht nur ihre Grenzen für Waren und Arbeitskräfte aus der EU. Sie beteiligte sich auch mit Zahlungen an den gemeinsamen Politikfeldern. Außerdem sagte sie nach der EU-Erweiterung 2004 eine Beteiligung am Kohäsionsfonds für die wirtschaftliche Angleichung Osteuropas in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken (1,16 Mrd. Euro) zu. Im Gegenzug erhält sie so wie Mitgliedstaaten auch Förderungen zurück.

Nachvollzug von EU-Regeln. Einer der größten Nachteile der bilateralen Verträge für die Schweiz ist die Verpflichtung, alle neuen EU-Regeln – insbesondere jene zum Binnenmarkt – ohne Mitentscheidung zu übernehmen. Durch diesen „dynamischen“ Nachvollzug soll verhindert werden, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Regeln, an die EU-Unternehmen gebunden sind, müssen auch für Schweizer Unternehmen gelten. Bisher gibt es aber keinen Mechanismus, wie Konflikte über unterschiedliche Rechtsnormen oder deren Auslegung beigelegt werden können. Das ist Teil der aktuellen Debatte über ein neues Rahmenabkommen.

Guillotineklausel. Der Schweiz ist es zudem nicht gestattet, Teile der bilateralen Verträge aufzukündigen. Dies wurde deutlich, als das Land nach einer erfolgreichen Volksinitiative der rechtsnationalen SVP die Zuwanderung von Arbeitskräften aus der EU beschränken wollte. Das Abkommenpaket zwischen Brüssel und Bern enthält nämlich eine Guillotineklausel. Sie bedeutet, dass der Ausstieg aus einem der Teilabkommen automatisch dazu führt, dass alle anderen Abkommen gekündigt werden. Die Klausel soll verhindern, dass sich die Schweiz nur jene Teile herauspickt, die ihr Vorteile bringen. (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.