Postenschacher? Ja bitte

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Die Verfechter lupenreiner Transparenz liegen falsch: 28 EU-Mitgliedsstaaten und sieben politische Fraktionen brauchen ein diskretes Forum, um sich auf Kompromisse einigen zu können.

Was seinen Ruf in der breiten Öffentlichkeit anbelangt, rangiert der  Postenschacher irgendwo zwischen Putschversuch und Privatisierungsoffensive. Also tendenziell unten auf der Skala der goutierten gesellschaftspolitischen Aktivitäten. Wer über Postenschacher schimpft, hat das Bild eines schallgedämpften Hinterzimmers vor seinem geistigen Auge, hinter dessen Tapetentür gut dotierte Positionen vergeben, Gefälligkeiten ausgetauscht und Machtstrukturen gefestigt werden - ohne auf die Wünsche und Befindlichkeiten der Wählerschaft auch nur die geringste Rücksicht zu nehmen.

Wie jede Karikatur hat auch dieses Zerrbild einen (kleinen) wahren Kern. Die Vergabe von Jobs an Günstlinge hat eine lange, unrühmliche Tradition. Doch ganz ohne Postenschacher wäre Politik nicht denkbar - womit wir bei der EU angelangt wären, die momentan den Gegnern dieses Prinzips reichlich Munition zu bieten scheint. Denn die Vergabe der europäischen Spitzenposten beim Sondertreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel erfolgt in der Tat hinter verschlossenen Türen und auf eine für Außenstehende undurchsichtige Art und Weise.

Ist das ganze wirklich ein zum Himmel schreiender Skandal, wie es von diversen Verfechtern lupenreiner Transparenz behauptet wird? Mitnichten. Denn auf welche andere Weise sollte eine Europäische Union, die aus 28 Mitgliedern, sieben EU-Parlamentsfraktionen, hunderten Regionen und völlig unterschiedlichen politischen Fundamenten besteht, die von Monarchie über Republikanismus bis hin zu den Altlasten totalitärer Regimes reichen, je auf einen grünen Zweig kommen?

Der Abgleich einzelner Interessen an einem runden Verhandlungstisch hinter verschlossenen Türen ist der einzige gangbare Weg, um dieses hochkomplexe, mehrdimensionale Puzzle zu vervollständigen. Und die Türen müssen deshalb verschlossen bleiben, damit die Verhandler auf der Suche nach tragfähigen Kompromissen auch über ihre Schatten springen können, ohne von ihren Wählern dafür gleich gekreuzigt zu werden.

Die einzige denkbare Alternative zu diesem Prozess wäre eine Auswahl nach rein fachlichen Kriterien - also ein Kabinett der Experten. Und dann würden sich all jene, die gegen politisches Geschacher wettern, über die Herrschaft demokratisch nicht legitimierter Technokraten aufregen. Wohin das führen kann, zeigt Großbritannien. Als ein prominenter Brexit-Befürworter im Vorfeld des Referendums über den EU-Austritt Großbritannien gefragt wurde, wie er den Bruch mit Europa begründen kann, wenn doch alle Fachleute vor den Folgen eines Brexit warnen würden, antwortete er folgendermaßen: „Die Leute haben die Nase voll von Experten.“ 

Da ist es doch um einiges harmloser, sich über Postenschacher aufzuregen.

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