Wolf: "Er wollte das Gute in den Deutschen sehen"

Wolf wollte Gute Deutschen
Wolf wollte Gute Deutschen(c) Clemens Fabry
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"Die Presse am Sonntag«" traf Martin Wolf, Chefkommentator der "Financial Times", in Wien zum Interview, um drängende währungspolitische Fragen zu erörtern. Herausgekommen ist ein Gespräch über seinen Vater, Edmund Wolf.

Am 12. Oktober 1937 verlässt der Wiener Dramaturg und Autor Edmund Wolf unter dem Eindruck des grassierenden Antisemitismus und des in der Luft liegenden „Anschlusses“ Österreich in Richtung Paris. Erklärtes Ziel ist Hollywood, weshalb sich Wolf 1938 in London für ein Visum in die USA registrieren lässt. 1940 wird er als „feindlicher Ausländer“ verhaftet und zwei Jahre in Kanada interniert, kehrt dann nach London zurück, um dort für den German Service der BBC zu arbeiten und nach dem Krieg als Filmemacher und Journalist Karriere zu machen. Wolf ist unter anderem London-Korrespondent der „Zeit“ und der „Süddeutschen Zeitung“, für den Bayerischen Rundfunk produziert er mehr als 80 Dokumentationen.

1943 heiratet Edmund Wolf Rebecca Wijnschenk, die aus den Niederlanden vor den Nazis geflohen ist. Drei Jahre später kommt Sohn Martin zur Welt – der heute wohl meistgelesene Wirtschaftsjournalist der Welt. Martin Wolf ist Chefkommentator der „Financial Times“. Unlängst war der Brite in Wien, um mit seiner Familie den 100. Geburtstag seines Vaters zu feiern. „Die Presse am Sonntag“ traf ihn zum Gespräch.

Eigentlich wollten wir ja über die Turbulenzen in der Eurozone reden. Sie sind aber in Wien, um den Geburtstag Ihres Vaters zu feiern. Hätte er das auch in Wien getan?

Martin Wolf: Schwer zu sagen. Er war jedenfalls bis bis zu seinem Tod (1997, Anm.) Wiener. Allerdings war meinem Vater das Feiern grundsätzlich nicht besonders wichtig. Er lebte immer in der Gegenwart, was wohl auch mit seiner Geschichte als Flüchtling zu tun hatte. Daraus würde ich wiederum schließen: Er hätte vermutlich überhaupt nicht gefeiert, sondern gefragt: „Wie sieht mein nächstes Projekt aus?“

1937 emigrierte Ihr Vater über Paris nach London, wo er sich mutterseelenallein als deutschsprachiger Autor durchzuschlagen hatte. Wie darf man sich das vorstellen?

Er musste sich neu erfinden. Sein Englisch war superb, er sprach akzentfrei. Seinem geschriebenen Englisch war aber anzusehen, dass es nicht von einem Native Speaker war. Er konnte also mit seinem Beruf nicht überleben. Mein Vater war einer der ersten Schüler am Reinhardt-Seminar und im Alter von 25 Jahren Dramaturg am Wiener Volkstheater. 1942 heuerte er beim German Service der BBC an. Vier Jahre nach Kriegsende erhielt er bei der BBC eine feste Anstellung; um sich finanziell über Wasser zu halten, arbeitete er als Korrespondent für die „Zeit“ – zu Beginn noch unter Pseudonym wegen seines Engagements bei der BBC. In der „Zeit“ schrieb er übrigens eine sehr gute Kolumne mit dem Titel: „Zum Lachen oder Weinen?“

„Zum Weinen“ gab es für Edmund Wolf ja jede Menge. Seine Familie wurde fast vollständig von den Nazis umgebracht.

Die engste Familie meines Vaters (Eltern und Geschwister, Anm.) blieb in Wien, schaffte es aber noch nach dem „Anschluss“ bis Triest und von dort 1939 nach Palästina. Meine Großmutter hat bis zu ihrem Tod so getan, als lebte sie in Wien, obwohl sie längst in Tel Aviv war. Sie sprach nie Hebräisch, nur Deutsch, und ging in Kaffeehäuser, um sich mit Leuten zu treffen, die wie sie aus Wien geflohen waren.

Im Juni 1940 wurde Ihr Vater in London als „feindlicher Ausländer“ verhaftet und in Kanada interniert. Fast zur selben Zeit wurde der Haushalt der Familie Wolf in Wien von der Gestapo zur Veräußerung freigegeben.

Das ist richtig. Die Briten waren sich nicht sicher, ob unter den deutschen Flüchtlingen nicht auch Spione waren. Mein Vater wurde de facto wie ein Kriegsgefangener behandelt; das änderte sich erst 1942. Während seiner Internierung kämpfte er weiter um die Einreise in die USA, kehrte dann aber nach London zurück, wo er sich dem German Service der BBC zur Verfügung stellte.

Kehrte er jemals nach Wien zurück?

Ja, einige Male, schon aus beruflichen Gründen. Seine letzte Arbeit machte er übrigens für den ORF; es war eine Dokumentation über den Tod des tschechoslowakischen Außenministers Jan Masaryk („Dritter Prager Fenstersturz“ 1948, Anm.). Wir Kinder waren mit der Familie erstmals im Jahr 1971 in Wien. Mein Vater führte uns herum, zeigte uns die Gusshausstraße, in der er aufgewachsen war, seine Schule (das Akademische Gymnasium, Anm.) und die Karlskirche.

Wie würden Sie sein Verhältnis zu Wien in dieser Zeit beschreiben?

Distanziert. Was vor allem daran lag, dass jenes Wien, das er verlassen musste, in vielerlei Hinsicht ein anderes war. Das politische und wirtschaftliche Umfeld hatte sich komplett geändert, die Atmosphäre empfand er als ziemlich düster, für ihn war das Leben aus Österreich verschwunden. Man darf nicht vergessen, dass Wien auch nach dem Zerfall der Donaumonarchie bis 1938 noch eines der intellektuellen Zentren der Welt war. Diese Zeit war aus seiner Sicht unwiderruflich vorbei; wenngleich das Österreich der Zweiten Republik sensationell erfolgreich war, war es doch nicht mehr sein Österreich.

Deshalb wollte er nie zurück?

Nein, obwohl einige seiner Freunde zurückgekommen waren. Etwa Heinrich Schnitzler (Sohn von Arthur Schnitzler, Anm.). Zudem hatte aber auch meine Mutter, eine gebürtige Niederländerin, überhaupt keine Lust, in Wien zu leben. Sie liebte London.

Gab es jemals Bemühungen seitens Österreichs, Edmund Wolf zurückzuholen?

Von konkreten Bemühungen weiß ich nichts. Es dürfte aber zarte Versuche aus dem Theaterumfeld gegeben haben. Seine Eltern und seine engste Familie waren aber nicht mehr da, es hätte also einen wirklich überzeugenden Grund für ihn gebraucht, zurückzukommen – und den gab es nicht.

Derzeit widmet sich eine Ausstellung im Wiener Literaturhaus dem Leben und vor allem der Arbeit Ihres Vaters. Bemerkenswert erscheint aus heutiger Sicht sein Instinkt. Edmund Wolf durchschaute Robert Mugabe bereits, als ihn die Welt noch für einen kommenden Reformer hielt.

Sein unheimlich gutes Gefühl für Menschen und Situationen war zweifellos eine seiner ganz großen Stärken. Er wusste, dass Robert Mugabe nur eine andere Art von Tyrann war. Oder als er 1975 aus dem Iran zurückkam, war er überzeugt, dass das heillos korrupte Regime des Schahs kurz vor dem Zusammenbruch stehen würde. Einzig die Bedrohung durch die Sowjetunion hat er überschätzt. Darüber haben wir uns auch sehr oft gestritten.

Wusste Ihr Vater 1937 eigentlich, was auf ihn in Österreich zugekommen wäre?

Ja. Ihm war völlig klar, dass Österreich an Deutschland gehen würde. Und ihm war auch absolut klar, dass Hitler einen Krieg beginnen würde. Und er wusste, dass er in diesem Land keine Zukunft hatte, wenn er auch nicht damit gerechnet haben dürfte, dass alles jüdische Leben ausgelöscht werden sollte. Allerdings kam ihm nie der Gedanke, dass Hitler den Krieg je gewinnen könnte. Er war überzeugt davon, dass die Welt Hitler früher oder später bezwingen werde.

In seinem Lebensprojekt versuchte Ihr Vater, dem Verhältnis zwischen Adolf Hitler und seinen Generälen nachzugehen. Ein wenig sonderbar, nicht?

Ohne zu vergessen, was geschehen war, wollte er als Deutsch sprechender Intellektueller wissen, was das eigentlich für ein Deutschland war. Auch viele nicht jüdische Deutsche fragten sich, wie sehr die Geschichte Deutschlands durch die Nazis zu definieren sei. Und welche Rolle die preußische Militärtradition spielte. War sie etwas, das unvermeidlich zum Nationalsozialismus führen musste – wie die Amerikaner argumentierten? Oder wurde diese Tradition von den Nazis missbraucht?

Wie fiel seine Antwort aus?

Seine Antwort war, dass die preußische Militärtradition sehr wohl von Werten getragen war und nicht zwangsläufig in den Nationalsozialismus münden musste. Und dass sich einzelne Generäle anständig verhielten, sofern ihnen das möglich war.

Von der zwölfteiligen Serie für den Bayerischen Rundfunk wurden nur zwei Teile fertiggestellt. Die Doku-Serie war umstritten.

Bemerkenswert war, dass sie zu einem ziemlich wohlwollenden Urteil gekommen war. Die Deutschen fanden es zu dieser Zeit unpassend, den preußischen Generälen so etwas wie Werte zuzugestehen. Irgendwie wollte mein Vater auch das Gute in Deutschland sehen, so eigenartig das klingen mag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2010)

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