Vielseitig. Die junge italienische Kuratorin pendelt zwischen ­London, Mailand und Wien.

Viennacontemporary: Welt in Bewegung

Attilia Fattori Franchini ist Kuratorin des Videoprogramms bei der diesjährigen Ausgabe der Viennacontemporary.

Sie sind ein Must jeder Kunstmesse, die am Puls der Zeit sein will: Videoprogramme, die in den Weiten der Messehallen, ähnlich einem Programmkino, einen speziellen Beitragsschwerpunkt bilden. Sie sind heute so sehr ein Must, dass sie im Bedarfsfall von der Konkurrenz ausgeliehen werden – wie etwa im Fall der eben zu Ende gegangenen Art Berlin, die kurzum die Basler Entdeckermesse LISTE Art Fair mit den Videos ihres im Juni präsentierten „Joinery"-Schwerpunkts für ihr Beiprogramm einlud. Zwar ist das Format Video in den Messekojen der Galerien immer noch rar, umso mehr aber stellen Screenings eine willkommene Abwechslung dar – und vielleicht auch eine Gelegenheit zu chillen.

Für die bevorstehende Viennacontemporary hat Neo-Direktorin Johanna Chromik, die Österreichs wichtigste Messe für zeitgenössische internationale Kunst seit diesem Frühjahr künstlerisch leitet, die Italienerin Attilia Fattori Franchini eingeladen, ein eigenes Videoprogramm zusammenzustellen. Die umtriebige Kuratorin mit Hang zu Poesie und Imagination, die zwischen London, Mailand und Wien pendelt, ist hierzulande keine Unbekannte. „Could you visit me in dreams?", fragte sie vor einem Jahr im Rahmen des Wiener Galerienfestivals „curated by", wo sie für Nathalie Halgand (die inzwischen vom Galeriebusiness zum Art-Consulting wechselte) eine multimediale Ausstellung zusammenstellte.

Bizarr. Josef Dabernig lotet die Grenze zwischen Spielfilm und Video aus.
Bizarr. Josef Dabernig lotet die Grenze zwischen Spielfilm und Video aus.(c) Josef Dabernig

Medium der Zeit. Für das Videoprogramm, das Fattori Franchini nun für die Viennacontemporary zusammenstellte, stand ihr der preisgekrönte Lyrikband „Falling Awake" der englischen Schriftstellerin Alice Oswald Pate. „Falling Awake" ist ein paradoxes Wortspiel, das den Moment des Einschlafens an dessen Ende spiegelt und zugleich auch das Fallen als Zwischenzustand zwischen Schlaf und Wachen ins Visier nimmt. „Es geht um Momente des Kontrollverlusts, wo alles im Fluss ist, auch in der Schlaflosigkeit", sagt sie. „Wir sind heute konfrontiert mit der ständigen Spannung von Technologie, Individualität, Verlust, Verlangen und medialer Präsenz. Die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler reagieren darauf, auch in den digitalen Medien, mit sehr persönlichen Erzählungen und Zugängen."

Rund 15 Filme hat Fattori Franchini ausgewählt, manche dauern nur wenige Minuten, manche länger. Insgesamt ergibt sich ein Loop von rund drei Stunden. Kennzeichnend für die Auswahl ist die Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, Gender, Feminismus, mit sozialen Ängsten und dahinterliegenden ökonomischen und Machtstrukturen. Erzählungen von Voyeurismus und Intimität entpuppen sich als Narrative des persönlichen Widerstands. „Die Kunst der Gegenwart ist untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden", ist Attilia Fattori Franchini überzeugt. „Durch die Verwendung von persönlichen Narrativen und Innenperspektiven enthüllen die Künstlerinnen und Künstler diese Strukturen."

So analysiert die junge kanadische Künstlerin Rosa Aiello in „The Coquette", einer brisanten Dreiecksgeschichte, nicht nur Geschlechterverhältnisse, sondern setzt den Hebel auch an sozialen Machtstrukturen an. Marianna Simnet wiederum vollzieht für ihr Video „The Needle and the Larynx" ein brutales Botox-Experiment am eigenen Körper, um die Auswirkungen sozial auferlegter medizinischer Manipulationen aufzuzeigen. Die Stimme spielt auch eine Schlüsselrolle im 1987 entstandenen Animationsfilm „No No Nooky TV" der queeren US-Filmemacherin Barbara Hammer. Lange vor Alexa, Siri & Co. stellt sie darin die Frage, warum Maschinen immer männlich dargestellt werden. Josef Dabernig schließlich erzählt in seinem bizarren Film „Jogging" von der zufälligen Begegnung zwischen einem streunenden Hund und einem Auto fahrenden Jogger.

Politsch. ­Leslie Thorntons Mosaik mit Hiroshima, Trump und dem CERN.
Politsch. ­Leslie Thorntons Mosaik mit Hiroshima, Trump und dem CERN.(c) Leslie Thornton

Und der Kunstmarkt? „Video ist als Medium ein komplexes Format, das für Sammler eine gewisse Herausforderung darstellt", sagt Attilia Fattori Franchini. „Man kann es nicht an die Wand hängen, es ist technisch und ephemer." Sie weist auch auf die Diskrepanz zwischen Produktionskosten und Verkaufspreisen hin. „Man muss unterscheiden zwischen Viewing-Copies und dem Recht, das Werk öffentlich zu zeigen. Will man also einen Videokünstler wirklich unterstützen, erwirbt man ein Video mit allen Rechten."

Für Nikolaus Oberhuber von der Galerie KOW Berlin sind Videos ein selbstverständlicher Teil des Galerieprogramms. 2015 unterstrich die junge Galerie diesen Anspruch mit dem Programmschwerpunkt „One Year of Filmmakers" offensiv. Videos sind folglich auch fixer Bestandteil jeder Messepräsentation, nach Wien bringt KOW Mario Pfeifer mit. Oberhuber: „Die entscheidende Frage für eine junge Galerie beim Programmaufbau ist doch: Womit identifiziert man sich, woran glaubt man? Und nicht: Was ist verkäuflich? Wenn man anfängt, die Ökonomie in den Vordergrund zu stellen, verliert man jeden Bezug." Für ihn ist Video zudem als Medium der Zeit auch ein zentrales Element der Gegenwartskunst. „Viele Künstler arbeiten multimedial und verfolgen beispielsweise neben einer skulpturalen auch eine Video-Praxis." Was das Sammeln von Videos betrifft, sieht er eine breite Palette an Möglichkeiten, auch im Einstiegssegment: „Videos gibt es von 2000 Euro aufwärts." Die Möglichkeiten sind dabei vielfältig. Angefangen von der Auflagenhöhe, von kleinen Editionen bis zu offenen, unlimitierten Editionen oder komplizierten Installationen ist für jedes Budget und jede Vorliebe etwas dabei. Unbegründet ist für Oberhuber auch die Scheu vor konservatorischen Fragen des Mediums: „Ein Video ist im Grunde ein Datensatz und damit viel sicherer als beispielsweise eine Fotoarbeit, die mit der Zeit vergilbt."

Tipp

Viennacontemporary. Österreichs wichtigste Messe für zeitgenössische ­internationale Kunst findet vom 26.–29.  9. in der Marxhalle in Wien Erdberg statt.

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