Interview

„Der ‚Anschluss‘ als Revanche für den Vertrag von Saint-Germain“

Arnold Suppan ist emeritierter Professor am Institut für Osteuropäische Geschichte der Uni Wien und Mitglied der ÖAW.
Arnold Suppan ist emeritierter Professor am Institut für Osteuropäische Geschichte der Uni Wien und Mitglied der ÖAW.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Wiener Historiker Arnold Suppan von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigt sich mit den Folgen der Friedensverträge von Saint-Germain und Trianon in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg.

Die Presse: Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges gingen mit den Verlierern hart ins Gericht. In Ihrem neuen Buch werfen Sie ihnen Doppelmoral in Bezug auf Österreich vor. Warum?

Arnold Suppan:Ein Schlüsseldokument ist für mich die sogenannte Mantelnote des Vorsitzenden der Friedenskonferenz, Georges Clemenceau, an Staatskanzler Karl Renner. Hier begründet er die harten Bedingungen des Vertrags von Saint-Germain sehr vorwurfsvoll. Österreich sei wesentlich am Beginn des Ersten Weltkrieges beteiligt gewesen, und das Volk habe keinen Widerstand gegen die Politik der kaiserlichen Regierung geleistet. Doch Österreich-Ungarn hat zwar Serbien den Krieg erklärt, aber nicht Frankreich, Großbritannien, Italien und den Vereinigten Staaten, es war genau umgekehrt.

Und das österreichische Volk? War es kriegerischer als die Menschen der anderen Staaten gesinnt?

Nein, überhaupt nicht. Es gab leider zu Kriegsbeginn viele Pro-Stimmen und Pro-Demonstrationen. Auch die meisten Intellektuellen haben mitgemacht. Aber dieselben Jubelszenen hat es in Paris und London gegeben. Darum ging es bei Saint-Germain nicht. Im Vordergrund stand die französische Furcht vor einem Anschluss Österreichs an Deutschland. Und dann wie Clemenceau von „geheiligten Gesetzen der Gerechtigkeit“ zu sprechen, das ist wirklich üble Doppelmoral. Zuletzt hat die Machtpolitik entschieden.

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