Replik auf Gudula Walterskirchen

Christen, lasst euch nicht belügen!

Nein, die Grünen fordern keineswegs die „Spätabtreibung behinderter Kinder“. Das ist eine absichtliche Unwahrheit, um Christen und Grüne gegeneinander aufzubringen.

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„Was ist bloß mit den Grünen los?“, wundert sich Gudula Walterskirchen in ihrem montäglichen „Quergeschrieben“ in der „Presse“ (v. 7. 10.). Irritiert hat sie feststellen müssen: Die Grünen sorgen sich ja tatsächlich um die Umwelt – mitunter sagen sie sogar „Schöpfung“ dazu! Außerdem setzen sie sich, ähnlich wie die christlichen Kirchen, für soziale Gerechtigkeit ein, und für den Weltfrieden. Zur Caritas und zur Diakonie existieren bei den Grünen sogar enge persönliche Verbindungen.

So viel inhaltliche Gemeinsamkeit mit dem Christentum darf es jedoch nicht geben, jedenfalls nicht aus der Sicht fundamentalistischer Kulturkämpfer. Deswegen reitet Walterskirchen aus, um ihre gutgläubigen Brüder und Schwestern in den Kirchen zu warnen: Streift bloß nicht an den Grünen an, die tarnen sich bloß! Unter dem grünen Mäntelchen verbirgt sich Böses! Wenn die Grünen könnten, wie sie wollen, bekämen homosexuelle Menschen vielleicht tatsächlich gleiche Rechte – und, wer weiß, womöglich führen die Grünen irgendwann sogar einen gemeinsamen Religionen- und Ethikunterricht für alle Schulkinder ein!

Die Kommentatorin verlässt die Zone der Polemik

Weil das in den Augen der allermeisten Menschen als Schreckensszenario aber vermutlich nicht reicht, packt Walterskirchen dann noch eine ganz große Keule aus: Zum „Forderungskatalog der Grünen“, behauptet sie, zähle „die Spätabtreibung behinderter Kinder“. Damit verlässt die Kommentatorin die Zone der Polemik und formuliert eine glatte Lüge. Die Abtreibung Behinderter zu fordern – das blieb bisher finstersten Schreckensherrschaften vorbehalten, völkischen Reinheitsideologen, Nazis oder Radikalmaoisten. Niemals haben die Grünen so etwas je gefordert, und nichts läge uns – mit unserer langen menschenrechtlichen Geschichte – ferner.

Vermutlich versucht Walterskirchen mit dieser Falschbehauptung auf etwas anderes anzuspielen: nämlich auf eine Initiative, die sich „Fairändern“ nennt, von katholischen Fundi-Kreisen betrieben wird und sich zum Ziel gesetzt hat, das geltende Abtreibungsgesetz zu verschärfen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Österreich ja grundsätzlich verboten, bleibt jedoch straffrei, wenn er innerhalb der ersten drei Monate vorgenommen wird. Straffrei bleibt er auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn eine gesundheitliche Gefahr für die Mutter besteht, oder wenn der Fötus schwerwiegend geschädigt ist.

Österreich ist mit dieser pragmatischen Lösung bisher gut gefahren. Denn wer möchte sich anmaßen, einer Frau bei einer derart weitreichenden Entscheidung dreinzureden? Wer möchte ernsthaft eine Frau – unter Strafandrohung! – dazu zwingen, ein Kind auszutragen, von dem sie womöglich weiß, dass es sein kurzes Leben lang permanent unerträgliche Schmerzen leiden wird? Es sind höchst intime Gewissenskonflikte, um die es hier geht. Wie viel mute ich mir, meinem Partner, meinen anderen Kindern und dem Ungeborenen zu? Wie viel halte ich aus, was übersteigt meine Kräfte? Der Staat tut gut daran, sich hier mit Bevormundungen zurückzuhalten. Nachbarn, Priester, Parteien, Kommentatorinnen und andere Besserwisser ebenso. Die Grünen lehnen die Initiative „Fairändern“ deswegen entschieden ab.

Ende Oktober kommt ein Dokumentarfilm ins Kino, der drei österreichische Paare in dieser Extremphase ihres Lebens begleitet, bei einer Entscheidung, die man keinem Menschen wünscht. „Liebe ist stärker als der Tod“, heißt er. Er sei Gudula Walterskirchen ans Herz gelegt. Ebenso wie die Lektüre des Grünen-Parteiprogramms.

Sibylle Hamann (* 1966) war Journalistin und wurde bei den Nationalratswahlen auf den dritten Listenplatz der Grünen gewählt. Sie war von 2006 bis Juli 2019 eine der „Quergeschrieben“-Autorinnen.

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