Kolumne zum Tag

Hand-anhalt-Zeremonie

(c) Clemens Fabry
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Was die Tasse des Bräutigams betrifft, darf die Braut in spe richtig diabolisch sein.

Die Mama hat mir die Geschichte von E. erzählt, da begann die Furore damit, dass E. heiraten wollte, und zwar einen Mann, den nicht nur ihre Eltern, sondern ganze Nachbarschaften der türkeistämmigen Community in der Vorarlberger Bodenseeregion eher mit Skepsis bedachten, weil jener Mann sich gegen das Studium der Ingenieurwissenschaften entschieden hatte, und so etwas verzeiht die Community bis zum Tod nicht. Natürlich übertreibe ich jetzt, aber eigentlich auch nicht. Das Paar hat sich jedenfalls urlaubsselig an einem Sonnenuntergangsstrand verlobt und musste folglich, kaum wieder in Bregenz angekommen, durch die türkische Zeremonie des Familien-Kennenlernens und Hand-der-Braut-Anhaltens. Hierzu besucht die (Kern-)Familie des Bräutigams das Haus der Brautfamilie und überreicht dieser zuerst Schokolade und Blumen. Dann wird eine Zeit lang Small Talk geführt, Wohnung, Wetter, Gesundheitszustände. Anschließend hält der Familienälteste von der Bräutigamseite um die Hand der Braut im Namen der Familie an; die Zeremonie stellt gewissermaßen die formelle Zustimmung der Ältesten zur Hochzeit dar, was in heutigen Zeiten ohnehin nur symbolischen Charakter hat. Dem folgen endlose Umarmungen, und die Braut in spe reicht jedem Gast türkischen Kaffee. Was die Tasse des Bräutigams betrifft, darf sie richtig diabolisch sein. Statt des Zuckers hat sie da alles Mögliche schon reingegossen: Salz, Chili, vielleicht ein bisschen Abwaschwasser, oder, wie es E. gehandhabt hat, einen ordentlichen Schluck Spülmittel, Sorte Giftgrün.

Es verhält sich so: Trinkt der Bräutigam die Scheußlichkeit aus, soll das zeigen, dass er niemals von ihrer Seite weichen wird, egal, wie schwierig die Umstände. Im Falle von E. verlief die Zeremonie überaus harmonisch und fröhlich, und eine Stunde später musste man dem Bräutigam den Magen auspumpen. „Warum“, frage ich E., als ich sie zufällig in Bregenz treffe, „gibst du nicht einfach ein bisschen Essig in den Kaffee wie jeder andere normale Mensch auch?“ Sie winkt ab. „Du hättest sehen sollen“, sagt sie, „wie wir den Kaffee im Spital erklären mussten.“ Na ja, wenigstens sind sie glücklich.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2019)

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