Urania: Die Denkfabrik für jederfrau

Urania Denkfabrik fuer jederfrau
Urania Denkfabrik fuer jederfrau(c) APA (Roland Schlager)
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Seit 100 Jahren steht in Wien die Urania am Donaukanal. Verstaubt ist sie nicht: Volksbildung ist gefragt wie noch nie, vor allem unter Frauen.

Als der alternde Kaiser am 6.Juni 1910 das Band durchschnitt, wäre er nie darauf gekommen, dass in eben diesem Haus am Donaukanal im Jahr 2010 Frauen wie selbstverständlich nackte Männer zeichnen (und umgekehrt), Interessierte Kurse über „Bodystyling“ besuchen und Nativespeaker aus dem nahen Osten Stunden in Arabisch geben. Wieso sollte er auch. Der Monarch war Widerspruch nicht gewohnt, erahnte nicht, wie stark das Bedürfnis seiner Untergebenen nach staatlich und kirchlich unabhängiger (Weiter-)Bildung war. Ein Bedürfnis, das auch heute noch, obwohl sich die Österreicher inzwischen frei nennen, wächst.

Seit genau 100 Jahren ist die Wiener Urania ein Ort, an dem jeder dazulernen darf. Vom Kind bis zum Greis, vom Hilfsarbeiter bis zum Professor. Andrea Pitsch hat viele der Bildungshungrigen auf ihrer Reise durch die Welt des Wissens begleitet. Die 46-Jährige ist so etwas wie die Seele des Gebäudes, das nach Plänen des Otto-Wagner-Schülers Max Fabiani gebaut wurde und seit seiner Errichtung eine architektonische Landmark der Stadt ist.

„Nicht umsonst nennen wir das Haus auch umgangssprachlich Flaggschiff“, erzählt sie, die seit inzwischen 28 Jahren hier arbeitet, als rechte Hand der Direktion sowie für Kunden, die einen der vielen Veranstaltungsorte im Haus für ihre Zwecke mieten wollen.

Ein Flaggschiff ist die Urania deshalb, weil sie als prominentestes Aushängeschild der Wiener Volkshochschulen gilt. Und weil das Gebäude, am Zusammenfluss von Wien und Donaukanal stehend, von der richtigen Perspektive aus betrachtet an ein steinernes Schiff erinnert.

Gar nicht steinern ist die Idee hinter der Urania, die durch den Deutschen Max Wilhelm Meyer nach Wien kam. Mit seiner Arbeit als Glaser im väterlichen Betrieb unglücklich, bildete er sich fortan in seiner Freizeit weiter, schaffte es dank umfassender Kenntnisse ohne Matura an die Universität von Göttingen, wo er Astronomie studierte. Auf dass es die Generationen nach ihm leichter haben sollten, kam ihm die Idee, Bildungseinrichtungen für das Volk zu schaffen. Ausgehend von Berlin entstanden Urania-Institute in halb Europa.

1897 noch bei den Prostituierten im Prater, übersiedelte die Wiener Urania in die Wollzeile und 1910 schließlich in das gleichnamige Gebäude am Donaukanal, das ein Heer von Arbeitern innerhalb von neun Monaten errichtete. Die Generalsanierung des Hauses im Jahr 2000 dauerte drei Jahre.

Anfangs und während der Besuche von Albert Einstein und Max Planck noch von Männern dominiert, waren die weiblichen Besucher der Urania rasch in der Überzahl. „Volksbildung wird von Frauen gemacht und von Frauen besucht“, sagt Pitsch. Heute sind drei von vier Kursbesuchern in der Urania weiblich und zwischen 30 und 49 Jahre alt. Warum Männer lieber zu Hause bleiben? „Möglicherweise hat Volksbildung bis heute das Image von Strick- und Häkelkursen, die ja auch tatsächlich angeboten wurden“, erinnert sich Pitsch an ihre ersten Jahre hier. Das sei jedoch schon lange her.

Breites Angebot. Heute finden hier pro Semester 400 Kurse statt. Zwar steht auch im Jahr 2010 unter der Kursnummer 1146 noch „Häkelblumen für Weihnachten“ im Angebot, die Palette geht jedoch weit darüber hinaus. Sprachen, Kunst und Gesundheitsthemen sind nur ein kleiner Ausschnitt. Einen großen Anteil haben die Naturwissenschaften, deren inhaltlicher Schwerpunkt mit der hauseigenen Sternwarte am Dach des Gebäudes weithin sichtbar ist.

In den Stockwerken darunter stehen 22 Kursräume, drei große Säle sowie ein Kinosaal mit 320 Plätzen zur Verfügung. „In den 1980ern war der Saal nach dem Gartenbau das wichtigste Premierenkino des Landes“, erinnert sich Pitsch noch lebhaft an Vorstellungen, die u.a. von Bundeskanzler Bruno Kreisky oder Bundespräsident Rudolf Kirchschläger besucht wurden. So plüschig gemütlich wie heute war der Saal damals jedoch nicht: „Auf den knapp 800 Klappsesseln aus Holz büßte jeder Besucher seine Sünden ab.“

Kasperl und Pezi. Ganz unten geht es heute noch vielen Erwachsenen so. Wenn im Mittleren Saal „Kasperl und Pezi“ auftreten – sie tun das hier seit 1957 – fabrizieren 260 begeisterte Kinder Woche für Woche ohrenbetäubenden Lärm. So manches Elternteil flüchtet da über den Hinterausgang in die hauseigene Bar mit Blick auf den Donaukanal.

Dass die Volksbildung trotz ihres 100-jährigen Bestehens an diesem Ort alles andere als verstaubt ist, zeigt die Entwicklung der jährlichen Kursbesucher. Meldeten sich nach dem Umbau im Jahr 2003 insgesamt 5200, waren es im Vorjahr 6240.

Ganz ohne Blick in die Vergangenheit kommt die Urania zu ihrem runden Jubiläum aber doch nicht aus. Die alte Uhr an der Fassade in der Uraniastraße, die den Wienern (ab 1913 auch per Telefon) die genaue Zeit verriet, geht am 10.Juni wieder in Betrieb.

Das Urania-Gebäude wurde am 6.6.1910 von Kaiser Franz Joseph eröffnet. Heute gehört es der Stadt Wien, betrieben von den Wiener Volkshochschulen. Neben dem klassischen Kursbetrieb beherbergt das Haus am Donaukanal eine Sternwarte, ein Kino, zahlreiche Veranstaltungssäle sowie das Kasperltheater, das heute noch im ORF-Fernsehen übertragen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

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