Expedition Europa: Das norwegische Nein zur EU gibt es immer noch – aber auch das Ja.
Vor 25 Jahren stimmte auch Norwegen über den EU-Beitritt ab, 52 Prozent sagten Nein. Das ließ sich mit dem Ölreichtum und der abgeschiedenen Lage erklären, auch damit, dass neben den politischen Rändern eine Partei der Mitte gegen die EU stritt – die Zentrumspartei SP. Die wirksamste Anti-EU-Rednerin war 1994 die Obfrau der Zentrumspartei, dieselbe Anne Enger, die 1978/1979 gegen die Legalisierung von Abtreibung kampagnisiert hatte und nun als eine von fünf Juroren den Friedensnobelpreis vergibt. Enger antwortet mir in einer nächtlichen SMS: „Ich wünsche nicht länger öffentliche Interviews zu diesen Themen zu geben.“ Es trifft sich gut, dass die überparteiliche Kampagnen-Organisation „Nei til EU“ („Nein zur EU“) immer noch existiert und dass ihre Leiterin ebenfalls Politikerin der Zentrumspartei ist.
Diese Partei fasziniert mich, weil sie mit nichts in Mitteleuropa vergleichbar ist. Sie ist grün, bäuerlich, sozialistisch und souveränistisch. Sie schützt die Fischer, will die Wölfe abschießen und ficht für Importzölle, die schon mal 429 Prozent auf Lamm, 344 auf Rind und 277 auf Käse betragen dürfen. Die Zentrumspartei wird dann stark, wenn das norwegische Landleben bedroht ist. Das war 1994 so, und jetzt ist es wieder so: Die Regierung will durch Zentralisierung sparen; der Briefträger am Land soll nur noch zwei Mal die Woche kommen.
In Oslo, vor einem abrissreifen Bürokomplex, steigt Kathrine Kleveland, 53, aus dem Taxi. Sie trägt einen langen türkisen Rock und weiße Sneakers und geht momentan auf Krücken. Ich frage die fröhliche Nebenerwerbsbäuerin: „Am Hof gestürzt?“ Sie: „Nein, im Büro.“ Im Lastenaufzug fährt eine bleiche Grufti-Maid mit, „das ist unsere Jugendleiterin“.
