Sieben Jahre Zeit für fünfjährige Schulform

Sieben Jahre Zeit fuer
Sieben Jahre Zeit fuer(c) Michaela Bruckberger
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An der Bundeshandelsakademie in Wien-Favoriten gibt es kein Durchfallen mehr. Schuldirektor Peter Slanar meint, das erspare volkswirtschaftliche Kosten.

WIEn. „Ich wäre wahrscheinlich in der dritten Klasse durchgefallen“, meint Jennifer Stankovic rückblickend. Dennoch hat es die 19-Jährige ohne eine Ehrenrunde bis zur Matura geschafft. Die Schülerin besucht die Bundeshandelsakademie in Wien-Favoriten. Dort maturierten heuer im Rahmen eines Schulversuchs die ersten Klassen, in denen durch ein modulares Ausbildungssystem das Durchfallen der Geschichte angehört.

Diese „Wiederholungsschleifen“ gebe es nun schon seit Jahrhunderten – und sie seien volkswirtschaftlich gesehen teuer, sagt Schuldirektor Peter Slanar. Laut Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) koste ein Schüler, der ein Schuljahr wiederhole, zwischen 6500 und 7000 Dollar. Doch Slanar geht es hier nicht nur um Kosteneindämmung.

Alle sollen abschließen

Der Betriebswirt betont, die Schule wie ein Unternehmen zu führen. Das Ziel: möglichst alle Schüler sollen die begonnene Ausbildung auch abschließen. An dem Standort gibt es nicht nur verschiedene HAK-Zweige, sondern auch eine Abend-HAK, eine Handelsschule, eine Handelsschule für Leistungssportler und zwei Kollegs. 1400 Schüler werden hier in 57 Klassen von 136 Lehrkräften unterrichtet.

Dem Ziel scheint man sich mit dem Schulversuch, von dem es nach Ansicht Slanars kein Zurück mehr gibt, stark genähert zu haben. Im neuen System wiederholte nur ein Prozent der Schüler – auf freiwilliger Basis, einfach, weil der Rucksack an Modulen, die positiv abzuschließen sind, zu groß geworden war, so Administratorin Susanne Spangl.

Wie aber funktioniert dieses Ausbildungssystem? Die ersten beiden der fünf HAK-Jahre gestalten sich so wie in jeder anderen Handelsakademie auch. Wer hier also das Jahr nicht positiv abschließt und auch die Wiederholungsprüfungen im Herbst nicht schafft, fällt durch. Ab der dritten Klasse aber wird nur mehr in Semestern gerechnet: zwei in der dritten, zwei in der vierten, eines in der fünften Klasse.

In jedem Semester gibt es Module, die zu absolvieren sind, einerseits Kernbereichsmodule (zum Beispiel Deutsch, Betriebswirtschaft), andererseits Wahlpflichtmodule (also Fächer je nach gewähltem Ausbildungsschwerpunkt). Vor allem für leistungsstarke Schüler sind die freien Wahlmodule gedacht, sie können freiwillig dazugenommen werden.

Wird ein Modul nicht positiv abgeschlossen, tritt der Schüler am Anfang des darauffolgenden Semesters zu einem Kolloquium an. Wird diese Prüfung nicht bestanden, kann der Jugendliche dennoch in seiner Klasse bleiben. Allerdings werden mit einem Coach Fördermaßnahmen besprochen, die in Anspruch genommen werden müssen. Dazu zählen zum Beispiel Förderkurse, Onlinekurse, Selbstlernen an Hand von CDs, Büchern oder Internetplattformen. Danach tritt der Schüler erneut zur Prüfung an. Das gilt übrigens nicht nur für einen Fünfer in einem Gegenstand. Theoretisch können die Schüler – ähnlich wie an der Uni – mehrere nicht abgeschlossene Kurse mitnehmen.

Vor dem Antreten der Matura darf allerdings nur mehr ein Modul nicht positiv bewertet sein. Insgesamt haben die Schüler für das positive Durchlaufen der fünfjährigen Schulform sieben Jahre Zeit – sie können also, wenn ihre Schulkollegen schon maturiert haben, danach quasi als Externisten ihre noch nicht bestandenen Module absolvieren und dann zur Reifeprüfung antreten.

Stankovic wurde in der dritten Klasse in Mathematik, in der vierten in Rechungswesen zunächst negativ beurteilt. Sie fand es gut, in ihrer Klasse bleiben zu können. Und sie habe sehr vom angebotenen Coaching profitiert. Einer der fünf Lehrer an der Schule, die inzwischen eine Coaching-Ausbildung absolviert haben, ist Jörg Hopfgartner. Er betont, dass sich die Schüler in dem Modulsystem auch leichter tun würden, weil sie in ihren gewohnten Lerngemeinschaften verbleiben.

Vergleichbare Standards

Sabine Langbauer (20) wurde in keinem der Module negativ beurteilt. Sie machte ganz im Gegenteil von den Wahlmodulen Gebrauch und belegte zusätzlich zum normalen Lehrplan auch Psychologie. Auch Denise Baumgartner (19) schaffte alle Module auf Anhieb. Ihr hat vor allem gefallen, dass in jedem Gegenstand von den Lehrern die Basics definiert werden. „Dadurch weiß man immer, was man lernen muss.“

Slanar erläutert dazu, dass die Umstellung auf das System auch für die Lehrer die Umsetzung einer Organisationsreform bedeute. Für jeden Gegenstand müssten die vergleichbaren Standards festgelegt werden. Nur so könnte ein und derselbe Gegenstand von einem Lehrer unterrichtet, von einem anderen aber beispielsweise eine Fördermaßnahme gestaltet werden.

Silke Irlinger (19) hatte einigen Nachholbedarf. In der dritten Klasse schaffte sie das Betriebswirtschaftslehre-Modul zunächst nicht, in der vierten Klasse kämpfte sie mit Rechnungswesen und Mathematik. In den Coaching-Stunden habe sich herauskristallisiert, dass sie ein „Zeitmanagementproblem“ habe, räumt die Schülerin ein. Ob sie etwas dagegen getan habe? „Nein“, sagte sie und ist etwas verlegen, „aber ich werde gleich arbeiten gehen, da ist das dann kein Thema.“ Auch im Job brauche man ein gutes Zeitmanagement, wirft der Schuldirektor schmunzelnd ein.

AUF EINEN BLICK

BHAK Favoriten
Die Schule gehört zu den
größten kaufmännischen
Schulen Österreichs. Sie hat bereits an mehreren Schulversuchen mitgewirkt, die
jüngste Entwicklung ist die Modularisierung im kaufmännischen Schulwesen.
Die ersten Schüler maturieren heuer in diesem System.

www.bhakwien10.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2010)

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