Soziale Arbeit

Streusalz gegen Radikalisierung

Wenn Jugendliche ausgeschlossen werden, ist das ein möglicher Nährboden für Radikalisierung.
Wenn Jugendliche ausgeschlossen werden, ist das ein möglicher Nährboden für Radikalisierung.(c) REUTERS (Toby Melville)
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Salzburger Forscher beschäftigen sich in einem EU-Projekt damit, wie soziale Arbeit und Demokratiebildung der Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen können.

Seit den Terroranschlägen von Paris 2015 rückten jene Viertel von Europas Städten in den Fokus, in denen Netzwerke oder Vereine Jugendliche in der Ideologie des sogenannten Heiligen Kriegs indoktrinieren. Inzwischen weiß man, dass es sich dabei nicht nur um jene Ghettobezirke handelt, die als Enklaven des Zorns sozial Benachteiligter gelten, sondern durchaus auch um bürgerliche Stadtteile.

„Radikalisierung zieht sich quer durch die Gesellschaft“, sagt Markus Pausch, Forscher im Fachbereich „Soziale Arbeit und Innovation“ der Fachhochschule Salzburg (FHS).

„Da gibt es Kinder von Akademikern genauso wie Mittelschicht-Kinder und sozial Schwächere. Sozial ungleiche Gesellschaften haben allerdings ein höheres Potenzial für Radikalisierung.“ Diese Erkenntnis war eines von vielen Teilergebnissen des dreijährigen EU-Projekts „Practicies“ für Prävention und De-Radikalisierung in europäischen Städten.

Frühprävention in Salzburg

Pausch ist einer der Teamleiter unter den insgesamt 20 Partnern des Projekts. Der Politologe betreut zusammen mit dem Sozialwissenschaftler und FHS-Fachbereichsleiter Heiko Berner eines von neun Arbeitspaketen des Projekts zum Aufgabenbereich „Frühprävention und Inklusive Demokratie“.

Das Forschungskonsortium, das den Zuschlag für die Umsetzung des Gesamtprojekts bekam, wird von süd- und westeuropäischen Ländern dominiert. Die Wissenschaftler der FHS sowie die Jugendbeauftragte der Stadt Salzburg sind die einzigen mitteleuropäischen Projektpartner. In ihrem Arbeitspaket kooperieren sie mit der Universität und der Stadt Toulouse, der Stadt Nizza (Frankreich) sowie Vertretern Tunesiens.

In diesem Verbund ist Salzburg als einzige bis jetzt von Terror verschont gebliebene Region dafür prädestiniert, sich auf Frühprävention zu spezialisieren, also auf Strategien, die dazu führen, radikale Ansichten gar nicht entstehen zu lassen.  Eine solche Strategie ist gesellschaftliche Teilhabe – in der Arbeitsgruppe unter dem Titel „Citizen's Agora“ zusammengefasst.

„Wir wollen in den beteiligten Städten eine möglichst inklusive Form der Demokratie ermöglichen, weil Demokratieerfahrungen eine präventive Wirkung haben. Wenn Menschen ausgeschlossen werden und nicht mitbestimmen können, ist das ein möglicher Nährboden für Radikalisierung“, sagt Pausch. So wurden zum Beispiel die in Toulouse bestehenden Jugendräte in den Blick genommen. Während Salzburg Jugendliche per Zufallsprinzip zur Mitarbeit in Jugendräten einlädt, setzt die Stadt Toulouse Sozialarbeiter zur Kontaktaufnahme ein und konnte dadurch die Teilnahme signifikant steigern. Man wolle sich bemühen, auch in Österreich künftig Ähnliches zu erreichen, so Pausch.

»Radikalisierung betrifft auch Kinder von Akademikern und Kinder aus der Mittelschicht.«

Markus Pausch, Politologe, FH Salzburg

Vorbildliche Jugendarbeit

Berner nennt als Salzburger Beispiel bester Praxis „Streusalz“ – ein bereits seit einem Jahrzehnt bestehendes Modell aufsuchender Jugendarbeit. Sozialarbeiter oder Pädagogen werden dafür mit Teilzeitverträgen bei der Stadt angestellt, haben ihren Arbeitsplatz jedoch in den neun Jugendzentren der Stadt und werden auch von diesen zusätzlich über das „Streusalz“-Projekt beschäftigt. „Das Schöne ist, dass sie dann sowohl in die Jugendzentren hineinwirken können, als auch aufsuchende Jugendarbeit leisten, indem sie zum Beispiel Stadtteilspaziergänge machen und ,ihre‘ Jugendlichen, die sie im Lauf der Zeit kennenlernen, an den Orten, an denen sie sich treffen, aufsuchen. Zum anderen bieten sie Jugendlichen Möglichkeiten an, sich zu versammeln, zum Beispiel im Graffiti-Workshop oder Soccerturnier.“

Das Ziel sei auch hier, die Durchmischung und Heterogenität der Jugendlichen zu fördern und zudem im Stadtteil Lobbyarbeit für sie zu betreiben, sagt Berner. Vor allem aber sei ein Merkmal von „Streusalz“, durch die Langfristigkeit Beziehungsarbeit zu ermöglichen und Vertrauen aufzubauen. „Ein Sportangebot kann zum Vehikel für das Hinführen der Jugendlichen zum Ausdruck ihrer eigenen Bedürfnisse werden und in einem nächsten Schritt auch ihrer Interessen.“

Mit Comedy und T-Shirts

Es gäbe viele Initiativen aufzuzählen, die die Projektpartner evaluierten – von der Salzburger Kampagne „#88gegenrechts!“ über ein Videospiel, das die Uni Lille (Frankreich) zur Sensibilisierung gegen Verschwörungstheorien produzierte, bis zu Comedy-Workshops, die sich mit Stilmitteln des Humors dem Thema Extremismus widmen.

„#88gegenrechts!“ mit einer Fotoaktion, Konzerten, Schulworkshops und bedruckten T-Shirts entstand zum Beispiel als Reaktion der Stadt Salzburg auf zahlreiche rechtsextremistisch motivierte Vorfälle. Ziel war es, Menschen zu sensibilisieren und sich öffentlich gegen nationalsozialistisch motivierte Straftaten zu stellen.

Ende März 2020 wird „Practicies“ mit einer Abschlussveranstaltung aller Partner in Riga (Lettland) beendet werden. Das Salzburger Team wird dort ein Handbuch präsentieren, das vor allem Praktiker adressiert und Modelle bester europäischer Praxis für die frühe Prävention von Radikalisierung enthalten soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2019)

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