Italien

Conte Monzinos Logenplatz am Lago di Como

Am Comer See: Die Villa del Balbianello befindet sich in prominenter Lage: in Lenno, an der Punta di Lavedo.
Am Comer See: Die Villa del Balbianello befindet sich in prominenter Lage: in Lenno, an der Punta di Lavedo. (c) www.imago-images.de (Martin Moxter)
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Die Villa del Balbianello in Lenno am Comer See hatte extravagante Besitzer. Zudem machte das grandiose Anwesen Filmkarriere.

Wie sonst als vom See aus könnte man sich Lenno nähern. So wie seit Jahrhunderten. Da liegt der Schiffsanleger à la Belle Époque, führt die die Promenade unter Strandpinien am Ufer entlang, Villen rundum. Man schaut auf den Golfo di Venere, die Venus-Bucht, und die weit in den See ragende Halbinsel Dosso di Lavedo. Es sieht aus wie ein Ort, an dem das Leben gut ist.

Noch ein Stück weiter im See liegt Lennos allerschönste Seite, vorn an der Spitze der Halbinsel: der Punta di Lavedo. Hier wurde der Pracht mit der Villa del Balbianello noch eins draufgesetzt. Zwischen Mailand und den Alpen gibt es wohl nichts Weltläufigeres als dieses Anwesen, das weit über 100.000 Besucher im Jahr sehen wollen. Das ist für Igor gut. Gäste bringt er mit einem kleinen Taxiboot in ein paar Minuten vom Lido hierher. Vormittag ist ideal für einen Besuch, noch sollte es da ruhig sein. Igor gibt Gas, die Brise macht's noch luftiger, man schaut zurück auf die Bucht, in deren Rundung der Comer See formvollendet an Lennos Ufer schwappt. Links liegt Dosso di Lavedo, vorn am Ufer Villen, Begonien, Glyzinien, Veranden, Loggien, die Piazza, malerische Gassen...

Refugium mit Geheimgang

Der Kapitän ist schnell unterwegs und Lenno schon ein bisschen kleiner geworden. An der steil in den See fallenden Dosso di Lavedo stehen nun steinerne Brüstungen, Statuen, die Terrassen, das noble Gemäuer und viel Grün. Über all dem ragt eine herrschaftliche Loggia auf. Elegant legt Igor in dieser Landschaftsoper an.

Treppe und Weg führen hinauf zur berauschend schönen Villa mit ihrer kapriziösen Geschichte. Einst war das Gebäude ein Franziskanerkloster, um 1790 von Kardinal Angelo Maria Durini erworben, der es aufwendig zur Villa del Balbianello ausbauen ließ. Mit ihrer zierlichen Doppelkirchturmfassade und der entrückten Lage ist sie ein absoluter Blickfang. Durini selbst residierte in Sichtweite zum Objekt – in seiner Villa Balbiano, einer Palazzo-Schöpfung des 17. Jahrhunderts. Für exklusive Plätze hatte er offensichtlich eine Schwäche. Dort frönte er seiner Literatur-Leidenschaft mit Gästen wie dem Lyriker Giuseppe Parini.

Knapp 200 Jahre und diverse Eigner später wurde die Villa del Balbianello von Graf Guido Monzino erworben, Sohn des Gründers der italienischen Warenhauskette Standa. Er war ein sehr reicher Mann, erzählt die Führerin in wunderbar italienischem Englisch, die sich nun der Gruppe von zwölf Gästen aus der ganzen Welt annimmt. Alles ist vom Feinsten, was hätte sich Guido Monzino denn nicht leisten können?

Traumhaft der Blick von der Terrasse.
Traumhaft der Blick von der Terrasse. (c) imago/robertharding (imago stock&people)

Auf der Reise durch dessen Leben öffnet sich in der überwältigenden Bibliothek neben der Loggia nun eine ächzende Tür zu einem Geheimgang. Bereits Durini ließ sie in den Fels hauen, sie führte – mit Zugang in das sechsgeschoßige Haupthaus – einst bis hinunter zur Anlegestelle. Monzinos Zeit an der Punta di Lavedo war unter anderem die der „Brigate Rosse“, der kommunistischen Untergrundorganisation „Rote Brigaden“. Zwischen 1970 und 1988 gingen Morde, Entführungen und Banküberfälle auf ihr Konto. Monzino fürchtete gekidnappt zu werden und ließ den Geheimgang im Haupthaus schließen.

Himalaya, Nordpol, Comer See

Das Leben aber war noch gut zu ihm. Die italienische Trikolore gehisst, die Nationalhymne aus Lautsprechern in Garten und Haus, mit Wein, Campari, Salami, so liebte Monzino Gäste zu empfangen. Er hatte viel aus der weiten Welt nach Lenno mitgebracht. In die unwirtlichsten Winkel der Erde hatte es ihn zuvor gezogen, in Staub, Fels und Eis, kaum vorstellbar beim Blick rundum auf diese paradiesische Landschaft des Comer Sees. Er finanzierte und führte Expeditionen wie in den Süden Chiles, wo einer seiner Seilschaften unter Jean Bich 1958 die Erstbesteigung des Torre Norte der bizarren Torres del Paine gelang. Monzino war in der Zentral-Sahara im Tibesti geklettert. Und unter seiner Leitung erreichte eine Expedition mit Hundeschlitten im Mai 1971 den Nordpol, wo man das christliche Kreuz und die Trikolore in den Schnee setzte, was ihm den Titel Conte, Graf, und eine Papst-Audienz einbrachte – um nur einige seiner 21 Forschungsreisen zwischen 1955 bis 1973 zu nennen. Monzino genoss den Ruf als großer Organisator und generöser Mitstreiter, soll zurückhaltend wie hilfsbereit gewesen sein, stand den Massai zur Seite und stiftete ein großes Stück Land zur Erweiterung des Nationalparks Torres del Paine. Zuletzt führte er die Italiener erstmals auf den Mount Everest, er selbst musste im Basiscamp auf 6000 Metern verharren – das Herz verhinderte Höheres.

Ein Jahr nach dem Geschehen am Mount Everest begann er, die Villa del Balbianello zum Rückzugsort auszubauen. Vielleicht wollte er nach Hause kommen, die Villa war sein Traum seit jungen Jahren. Während des Zweiten Weltkriegs hatte die Familie viel Zeit in ihrem Domizil in Moltrasio weiter südlich am See verbracht, da war es sicherer als in Mailand. Dann fuhr er mit seinem Vater zum Fischen und später allein und sah die Villa immer wieder. Jahrzehnte musste er warten, bis sein Traum wahr wurde und seine Ausgestaltung zur 22. Expedition seines Lebens. Heute ist das Dachgeschoß seinen Expeditionen zu Nordpol und Mount Everest gewidmet. Sehr Persönliches wird gezeigt – etwa Fotos von ihm mit Gefährten am Nordpol in Inuitkleidung, Reiseinstrumente, Hundeschlitten, Originalkarten, Schnitzereien aus Walrosselfenbein, die größte Sammlung außerhalb Grönlands. Ob mehr als 150 Hinterglasbilder im ganzen Haus, Figurinen der Maya, Tausende Bücher, eine exquisite Sammlung chinesischer Artefakte, ob Gobelins, antike Möbel, mechanische Uhren und allein 20 funkelnde Lüster... dies ist die Bühne eines Forschers und Sammlers. Überall seidenbespannte Wände, nur im pompösen Schlafzimmer mit flämischen Gobelins blauer Samt. Der Mann mit dem Leben am Limit starb mit 60 Jahren an Herzversagen.

Die Gartenanlage hatte er restaurieren lassen, sie sollte werden wie unter Durini. Sie ist ein Kunstwerk: Bäume wurden zu Schirmen gestutzt wie die mächtige Steineiche auf der Panoramaterrasse, Platanen wie zu Kandelabern ausgeästet, Lorbeer penibel zu Hecken oder fließenden Formen getrimmt, die sich organisch in das bewegte Terrain fügen. Vom See aus hatte er die Villa del Balbianello einst entdeckt, und von überall hier sieht man den See. Inmitten von Glyzinien umrankten Balustraden, Vasen und Terrassen, fand er, wie gewünscht, 1988 seine letzte Ruhe. „Qui riposa Guido Monzino” steht da, ohne Conte. Sein Zuhause vermachte er der FAI, der italienischen Denkmalpflege- und Naturschutzstiftung, da scheint es in guten Händen. Sie unterhält und schützt über 70 historische Stätten, Natur- und Kulturgüter – vom Art Déco Herrenfrisiersalon Antica barberia Giacalone in Genua über das kleinste Theater der Welt, Teatrino di Vetriano bei Lucca, Abteien, Palazzi, bis hin zur Villa del Balbianello, dem meistbesuchten Ziel der FAI-Schätze.

Filmreifer Garten

Der Garten ist ein Ort wie aus einem Traum – und Kulisse für glamouröse Celebrity-Weddings wie jenem der Bollywood-Stars Ranveer Singh und Deepika Padukone. Oder Drehort für Filme: Daniel Craig wurde hier als malträtierter James Bond in Casino Royale wieder fit, in Star Wars II liegt Balbianello auf dem Planeten Naboo.

Abend ist es geworden, schwarz liegt die Venus-Bucht vor der Dosso di Lavedo, nicht ein Windhauch kräuselt ihr Wasser. An der Piazza sitzen wir im Laternenschein zwischen der Kirche Santo Stefano und dem Baptisterium San Giovanni Battista nach „Kalbsbackerl al Frappato“ vor der „Trattoria Santo Stefano“ noch bei einem Glas Wein. Warm ist es, die Stimmen gedämpft, in der Ferne funkeln die Lichter von Bellagio in der Seegabelung, hier vorn ist Monzinos Welt für heute längst geschlossen. Am Lido aber leuchtet es, man feiert Hochzeit.

LENNO, LAGO DI COMO

Schlafen: Albergo Lenno: familiär, beim See, Ristorante www.albergolenno.com
Hotel San Giorgio: Haus/Mobiliar von 1920, in schönster Lage, Garten am See, Ristorante, www.sangiorgiolenno.com

Albergo Ristorante Plinio: einfach, mit Pavillon am See, www.hotelpliniolenno.it

Speisen: Trattoria Santo Stefano: kleine Karte, marktfrisch, schönes Interieur, www.santostefanolenno.com

Wine Note da Kita: nett und locker: www.facebook.com/winenotedakita

Lido di Lenno: Heiraten, Chillen am Lido, Dinner, Drinks, www.lidodilenno.com

FAI: www.fondoambiente.it

Gärten Italiens:www.grandigiardini.it

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2020)

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