Pop

Pop: Bruce Springsteens zitatfreudige Söhne

Bruce Springsteens zitatfreudige Soehne
Bruce Springsteens zitatfreudige Soehne
  • Drucken

Rock als Verdichtung von Alltagsgeschichten: neue Alben von Gaslight Anthem und Hold Steady. Große Storys vom Leben werden auf drei Song-Minuten verdichtet. The Gaslight Anthem spielen beim Frequency Festival.

Man muss nicht Nietzsche gelesen haben, um zu wissen, dass sich die Geschichte wiederholt. Es reicht oft, das Radio anzudrehen. Zu den positivsten Protagonisten der ewigen Wiederkehr des ehrlichen Rockhandwerks zählen gegenwärtig The Gaslight Anthem, die (wie einst Bruce Springsteen) aus New Jersey kommen – und auf ihrem Album „American Slang“ proletarische Fabulierlust der Marke E-Street-Band zelebrieren.

Frisch und frei von der von billigem Bier malträtierten Leber weg knüpfen sie dort an, wo sie mit „The '59 Sound“ (2008) aufgehört haben: Da werden Ärmel aufgekrempelt, Akkorde angerissen und große Storys vom Leben auf jeweils drei Song-Minuten verdichtet. Während sich die Gitarren zwischen Schlagzeug und Bass schmieren wie Motoröl, beschwört Sänger Brian Fallon Hoffnungen, die einmal verblassen werden wie in die Haut gravierte Namen: „I got your name tattooed inside of my arm“, singt der gelernte Tischler im Titelsong, um im elegischen Abgesang des Albums lakonisch zu konstatieren: „But I am older now / And we did it when we were young.“

Bruce Springsteen für Junge, gewiss. Aber mehr als das: Hier trifft Punk auf Soul und Pop auf Punk, bisweilen klingt das nach Paul Weller, bisweilen sogar nach Vampire Weekend. Aufgezogen wird eine Phänomenologie des New Yorker Alltags inmitten von roten Stöckelschuhen, aufgeschnappten Cool-Jazz-Fetzen, Erinnerungen an Paul Simons „Boxer“ und Springsteens „Darkness on the Edge of Town“. Dazu das wölfische Heulen all der Romeos der Stadt auf der Suche nach dem Sinn des Nachtlebens: „They know the meaning of staying out late“!

Solches Lokalkolorit ist global verständlich. Und was soll man sagen, wenn eine Band größenwahnsinnig fragt: „Baby, who sings it better than we do?“

Im Himmel hört man Schallplatten

Immerhin gibt es da auch The Hold Steadyaus New York. Eine Band mit einer Mission: mit ihrem Marshall-Plan übersteuerter Gitarren den Rock'n'Roll ein letztes Mal zu retten. Metaphysisch aufgeladen natürlich: Auf „Boys and Girls in America“ (2006) waren es dubiose Pillen und psychedelische Pilze, die die Protagonisten über Jesus philosophieren ließen, auf dem neuen Album „Heaven Is Whenever“ geht es ebenfalls um die letzten Gründe allen Seins: „Heaven is whenever we can get together / Lock your bedroom door / And listen to your records“.

Neben ästhetischen Gottesbeweisen dieser Art und hingerotzten Aphorismen erzählt Mastermind Craig Finn seine Uptempo-Geschichten über Metal-Bars, Straßenkämpfe und das Älterwerden. Dabei beglücken vor allem die skurrilen Beobachtungen dieses liebenswerten Dostojewski auf Pot: „The theme of this party ist the industrial age / You came in dressed like a train wreck“, heißt es in „The Weekenders“. Selten lagen Komik und Tragik, Pathos und Selbstironie in den letzten Jahren popmusikalisch so nahe beisammen. Kaum je wurden seit den Violent Femmes und den Replacements narrative Elemente so leichtfüßig und intelligent mit nach vorn treibender Gitarrenarbeit verwoben.

Lange Zeit vom Sprechgesang verbannt, kehrt die große, überbordende Erzählung im Gewand postmoderner Ästhetik zurück. Denn sowohl The Hold Steady als auch The Gaslight Anthem erlangen ihre Authentizität über Umwege, Zitate, Anspielungen und die direkte Anrufung ihrer Halbgötter – von Tom Petty bis hin zu Hüsker Dü. Zuletzt hat gar ein gemeinsamer Auftritt mit „Boss“ Springsteen die vier Burschen von The Gaslight Anthem in den heiligen Stand des rockenden Raubrittertums gehoben und das Plündern der jüngeren Musikgeschichte offiziell abgesegnet. Aufrichtige Heldenverehrung in Zeiten der musikalischen Stagnation. Ein musikpädagogischer Auftrag mit Augenzwinkern? Wenn er so klingt, dann gerne. „Bring it on“.

Die Platten bei Amazon



The Gaslight Anthem spielen am 19. August beim FM4 Frequency Festival und am 7. November in der Wiener Arena

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

The Gaslight Anthem
Pop

"Ich liebe Sänger, die eigentlich nicht singen können"

The Gaslight Anthem, US-Punk-Indie-Band, veröffentlichen mit "Handwritten" ihr bislang am voluminösesten klingendes Manifest. An Ausverkauf denken sie dennoch nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.