Grammy Awards

Der fünffache Sieg der Billie Eilish

„Die Fans verdienen alles“, sagte Billie Eilish bei der Verleihung. Hier sieht man sie bei ihrem Auftritt bei der Gala.
„Die Fans verdienen alles“, sagte Billie Eilish bei der Verleihung. Hier sieht man sie bei ihrem Auftritt bei der Gala. (c) APA/AFP/ROBYN BECK (ROBYN BECK)
  • Drucken

Erst 18 Jahre alt ist Sängerin Billie Eilish aus Los Angeles. Doch bei der 62. Verleihung der US-amerikanischen Musikpreise gewann sie in allen Hauptkategorien.

Im Grunde war es ein positives Zeichen für Billie Eilish, dass sie nicht in die totale Favoritenrolle gepresst worden war. Sie war für sechs Preise nominiert, nicht für acht wie Konkurrentin Lizzo. Die Grammy-Jury liebt nämlich nicht nur ungewöhnliche Heldinnen, sie lässt auch gern Favoriten in letzter Sekunde sterben.

Wahrscheinlich hat das eindeutige Votum für Eilish, die als erste Person nach Christopher Cross 1980 die vier Hauptkategorien für sich entscheiden konnte, auch mit dem überraschenden Rauswurf von Deborah Dugan, der knapp ein Jahr im Amt befindlichen Chefin der Grammy-Akademie, zu tun. Sie zählte zu jenen Kräften, die nicht nur die männliche Dominanz bei den Grammys (berechtigterweise) kritisieren, sondern leider auch dazu neigen, Preise als politisches Vehikel zu instrumentalisieren.

Im Vorfeld war zu befürchten gewesen, dass die musikalisch eher durchschnittliche Soulsängerin Lizzo in einem Akt volkserzieherischer Gutgemeintheit dafür belohnt wird, dass sie zu ihrem Übergewicht steht. Sie ist so etwas wie die Antithese zum nicht nur in den USA weit verbreiteten „Bodyshaming“. Wie nun auch bei ihrem Auftritt bei der Grammy-Verleihung im Staples Center in Los Angeles zu erkennen war, intoniert sie mit mehr Drastik als Subtilität. Zunächst gab sie „Cuz I Love You“ im glitzernden Abendkleid, dann wechselte sie in eine Art Strampelanzug und sang „Truth Hurts“. Sympathisch, aber künstlerisch ohne eigene Statur.

Ganz anders Billie Eilish. Zu Recht gewann die erst 18-Jährige als jüngste aller jemals ausgezeichneten Künstler in der Kategorie Album des Jahres für „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“; ihre Single „Bad Guy“ wurde zum Song und zur Aufnahme des Jahres erkoren. Zudem wurde Eilish als Newcomerin ausgezeichnet, ihr mitkomponierender Bruder Finneas O'Connell als Produzent. „Verwirrt und dankbar stehen wir hier oben“, sagte er gerührt. Billie gab sich sportlicher. Sie sprintete auf die Bühne, quietschte, fluchte und dankte, wie es sich gehört, indem sie die Fans aufs Podest stellte.

„Das hier ist für alle Kinder, die heute Musik in einem Schlafzimmer machen. Ihr werdet so einen hier bekommen“, sagte Finneas O'Connell. Tatsächlich wurde Eilishs Album 2018 in ihrem winzigen Schlafzimmer im Haus ihrer Eltern aufgenommen. Heuer wurde dieses zur Pilgerstätte für viele US-Journalisten. Und stets pries das nun hochdekorierte Geschwisterpaar die „amazing childhood“, die ihnen beschieden gewesen sei. Wenig Geld war da, der Vater bastelte viel, die Mutter bestand auf „homeschooling“. Letzteres ist wohl die Basis des strikt individuellen Stils von Billie Eilish, dem überraschend Mainstream-Erfolg zuteil wurde. „Unreal“ nennt sie diesen selbst.

Die Grammys waren stets Preise, die die Verkäufe von erfolgreichen US-Künstlern global befeuern sollten. Der Markt hat sich aber – auch durch neue Medien wie Spotify – stark verändert, hat sich von der US-Dominanz befreit. Die Spanierin Rosalia gewann mit „El Mal Querer“ zwar nur einen Latin-Grammy, dominierte aber das Portal YouTube mit dem Video von „Con Altura“ wie kaum eine Nummer zuvor. Nicht weniger als 1,2 Milliarden klickten dieses Lied an. Mittlerweile haben US-Rapper den spanischsprechenden Markt entdeckt und raufen sich um Duette mit J Balvin und Bad Bunny.

Tyler, The Creator mit Mutter

Die Europäer haben sowieso ein anderes Sensorium, wenn es um amerikanische Popmusik geht. Ariana Grande etwa ist in den USA ein R'n'B-Superstar, kommt in Europa aber nicht über Kultstatus hinaus. Ihr heuriger Liveauftritt dürfte das nicht verändert haben. Gemeinsam mit einem Fräuleinregiment in Reizwäsche kugelte sie in einem überdimensionierten Bett herum und piepste ihre Hits von „Imagine“ bis „Thank U, Next“. Dazwischen herzte sie „My Favourite Things“ aus dem Musical „The Sound of Music“. Das war quasi Österreichs Beitrag zur heurigen Feier, Grammy gab es keinen.

Einen pfiffigeren Beitrag lieferte der in der Rap-Kategorie siegreiche Tyler, The Creator ab. Er erklomm mit seiner Mama die Bühne: „That's my mum, if you're wondering.“ Ganz spezielle Danksagung erhielt Pharrell Williams von ihm. Er sei sein großer Türöffner gewesen. Auch der große schwarze Bluesmusiker Gary Clark Jr. gab sich sanfter, als er ist. Sein raues, den Rassismus anklagendes „This Land“ gewann die Rock- wie die Blueskategorie. Allein, er übte Selbstzensur und nahm brisante Strophen raus. Nachfragen von Journalisten waren ihm unangenehm. Er verschanzte sich hinter der Formulierung, er habe den Song nur „editiert“.

Aus europäischer Sicht konnte man sich nicht nur mit dem Grammy für Rosalia, sondern auch mit einem für Elvis Costellos letztes Album, „Look Now“, freuen. Der vom Krebs Genesene tat es selbst auch. „I was the Billie Eilish of '79“, meinte er gut gelaunt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.