Faymann drängt in Israel auf Ende der Gaza-Blockade

Faymann draengt Israel Ende
Faymann draengt Israel Ende(c) REUTERS (AMMAR AWAD)
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Österreich will sich an dem Prozess beteiligen, der zur Normalisierung des Grenzverkehrs führen soll. Der erste Tag des Arbeitsbesuchs von Österreichs Bundeskanzler stand ganz im Zeichen der Erinnerungspolitik.

Wir hätten Ihnen gerne mehr gezeigt“, sagte Ariel Muzicant, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, den mitgereisten Journalisten beim Willkommensgruß in Jerusalem. „Aber die politischen Gespräche laufen ja im Halbstundentakt ab, da geht sich kein Spaziergang in der Altstadt aus.“ In der Tat: Das Besuchsprogramm des österreichischen Bundeskanzlers in Israel ist an Knappheit schwer zu übertreffen.

Dass es auf zwei Tage zusammengestutzt wurde, hat mit den Ereignissen auf der „Mavi Marmara“ zu tun, einem der Schiffe, die die Gaza-Blockade durchbrechen wollten: Nach dem Tod von neun Aktivisten im Zuge eines missglückten israelischen Militäreinsatzes kam zunächst sogar die Forderung auf, den Besuch aus Protest abzusagen.

Stattdessen strich man alles, was ein wenig nach Sightseeing aussah, aus dem Programm. Und man achtete darauf, auch auf der palästinensischen Seite Termine bei den Spitzenrepräsentanten zu bekommen. Ein sportliches Programm für zwei Tage. Oder, wie es Muzicant nicht ganz ohne sarkastischen Unterton formulierte: „Es gibt hier ein besonderes Bedürfnis nach Ausgewogenheit.“

Lieberman ohne Verständnis

Gleich bei der Ankunft im King David Hotel in Jerusalem machte Werner Faymann klar, dass er abgestimmte europäische Standpunkte vertreten werde. Und auch die israelischen Gesprächspartner machten deutlich, dass sie ihr Gegenüber, den ersten Regierungschef eines EU-Staates, der nach dem Gaza-Vorfall auf Israel-Besuch ist, als Vertreter der Europäischen Union betrachten.

Von Avigdor Lieberman bekam der österreichische Kanzler denn auch das ganze Ausmaß an Unverständnis zu spüren, das der israelische Außenminister für die – ausgewogene – europäische Position hat. Lieberman sieht auch nicht, dass es im Gazastreifen ein humanitäres Problem gebe. Für ihn geht es darum, zu verhindern, dass die Palästinenser eingeführtes Baumaterial zur Errichtung militärischer Anlagen verwenden.

Österreich ist für ein Ende der Blockade und will sich, wie Kanzler Faymann in Jerusalem betonte, an dem Prozess beteiligen, der zur Normalisierung des Grenzverkehrs führen soll: Man werde sich auf der Grundlage eines bereits gefassten Beschlusses im Nationalrats-Hauptausschuss mit Zollbeamten an einer EU-Mission beteiligen.

Der erste Tag dieses Arbeitsbesuchs stand ganz im Zeichen der Erinnerungspolitik: Der Kanzler besuchte das Herzl-Grab, die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und pflanzte im „Hain der Nationen“ der jüdischen Nationalstiftung Keren Kayemeth LeIsrael einen Olivenbaum.

„Müssen Wand einreißen“

In seiner kurzen Rede in Yad Vashem erklärte Faymann, dass ihn sein erster Besuch tief berührt und in ihm die Überzeugung gestärkt habe, dass „wir unsere Verpflichtung erneuern müssen, niemals die grausamen Verbrechen und das Leid zu vergessen, das man sechs Millionen jüdischen Menschen in der Shoah angetan hat“. Dazu gehöre die Verpflichtung, „uns bewusst zu sein, dass unter den Verfolgten, Deportierten und Ermordeten Österreicher waren, aber auch unter den Tätern“.

Im Gespräch mit Journalisten machte Faymann dann klar, dass es ihm nicht nur um eine offene Diskussion der österreichischen Rolle in der Geschichte des Nationalsozialismus gehe, sondern auch und vor allem um eine Aktualisierung des Themas: „Wir dürfen zwischen Vergangenheit und Gegenwart keine Wand einziehen“, erklärte er, „sondern wir müssen diese Wand niederreißen“.

Auch wenn ihm bewusst sei, dass sich Geschichte nicht wiederhole, sei es ihm wichtig, aktuelle Phänomene von Radikalismus und Rechtsextremismus und auch deren Bekämpfung in diesem historischen Kontext zu sehen. Gerade jetzt, in Krisenzeiten, sei eine Verschärfung der Auseinandersetzungen und damit ein neuer Nährboden für Radikalismen zu erwarten.

Für den Abend stand ein Gespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auf dem Programm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24. Juni 2010)

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