Gastkommentar

Kriminalpolitik im Schatten der Parteipolitik

In der Hauptverhandlung sind Staatsanwaltschaft und Verteidigung nach wie vor nur Stichwortgeber für das Gericht.
In der Hauptverhandlung sind Staatsanwaltschaft und Verteidigung nach wie vor nur Stichwortgeber für das Gericht.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Justizabschnitt im türkis-grünen Regierungsprogramm liest sich wie ein hingeschluderter Werbefolder im Hauptwortstil. Beim Straf(prozess)rechtskapitel geht bei der Lektüre rasch jegliche Orientierung verloren.

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Wien. Unter Programm versteht man die Gesamtheit von Konzeptionen und Grundsätzen, die verfolgt werden sollen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Aus dieser Perspektive lohnt sich ein Blick auf das Justizkapitel des türkis-grünen Regierungsübereinkommens.

Statt zehn (von 180) Seiten in der türkis-blauen Programmschrift vom Dezember 2017 werden aktuell 18 (von über 300) Seiten der „Justiz & Konsumentenpolitik“ gewidmet. Die Themenkreise Justizverwaltung, Reformen im Strafrecht und Strafprozessrecht, Reformen im Strafvollzug, Zivilrecht und Wohnen werden dabei jeweils auf zwei bis drei Seiten vorgestellt. Gewalt/Hass und Konsumentenschutz müssen mit insgesamt eineinhalb Seiten auskommen.

Wer sich einen flüssig lesbaren, gut strukturierten Text mit Aussagekraft erwartet, wird enttäuscht. Das Kapitel liest sich wie ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen. Schwerpunktsetzungen sind kaum erkennbar. Ständig ist von Evaluierung, Prüfung, Flexibilisierung, Neuordnung, Überarbeitung oder Modernisierung die Rede, ohne konkret zu werden.

Kommt bessere Ausstattung?

Klar adressierte Eckpunkte sind in dem „Neusprech“-Papier schwer zu identifizieren. Zuerst fällt auf, dass der Justiz eine bessere Ausstattung in Aussicht gestellt wird, zur Verfahrensbeschleunigung und „auch zur Verbesserung und für anstehende Reformen“. Das tut Not. An der Umsetzung dieses Versprechens wird man die Regierung also noch zu messen haben. In diesem Kontext folgt eine Aufzählung von Neuerungen.
Darunter: Professionalisierung der Medienarbeit, Förderung verständlicher Sprache, Evaluierung der Gerichtsgebühren, Neuordnung der Verfahrenshilfe, des Privatbeteiligtenanschlusses, Verlängerung der Gerichtspraxis und natürlich Digitalisierung neu und Einsatz künstlicher Intelligenz, alles in allen möglichen Facetten, auch und gerade bei der Akteneinsicht. Damit werden wichtige, überfällige Agenden einigermaßen deutlich angesprochen.

Beim Straf(prozess)recht geht bei der Lektüre rasch jegliche Orientierung verloren. Plattitüden wie: „Die Staatsanwaltschaft muss unabhängig von Beeinflussungen arbeiten können“ und detailfreudige Aufzählungen zur Stärkung der Staatsanwaltschaften bei der „unabhängigen Ermittlungsarbeit im verfassungsrechtlichen Rahmen“ wechseln sich teilweise schwindelerregend ab. Ein übergeordnetes Konzept ist nicht erkennbar. Es scheint, als sei bei den Formulierungen zu sehr mit der (Schlagwort-)Suchfunktion im Internet gearbeitet worden. Bemerkenswert, dass die überfällige Abschaffung der ministeriellen Weisungsspitze mit keinem Wort erwähnt wird.

Immerhin: Die WKStA dürfte bleiben, hat aber die Rute im Fenster. Kryptisch heißt es dazu: „Präzisierung der Zuständigkeiten der WKStA im Sinne einer zielgerichteten Strafverfolgung, soweit sinnvoll.“ Im Potpourri der Reform-(teil)aspekte fehlen auch sinnstiftende Begründungen.
Bei der proklamierten Anpassung des „Strafrechts an aktuelle Herausforderungen“ überschlagen sich die angedachten Modernisierungsschübe: Von „evidenzbasierten Grundlagen“ für die Weiterentwicklung des Strafrechts „auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse“, von Studien, statistischer Aufarbeitung und Umfragen über Erfahrungen ist schwülstig die Rede. Wer die Geringschätzung wissenschaftlicher Evidenz und Forschung beim Gewaltschutzgesetz aus 2019 in Erinnerung hat, könnte sich ansatzlos ins Paradies moderner Kriminalpolitik beamen.

Die Liste der substanzlos angekündigten Änderungen von strafgesetzlichen Materien ist lang: Es ist von der Bekämpfung des organisierten Schlepperwesens, der organisierten Kriminalität, des Menschenhandels und anderem die Rede. Nur zur Überarbeitung des Verbotsgesetzes und beim „Kampf gegen Umweltkriminalität“ finden sich kurze, einigermaßen nachvollziehbare Erläuterungen.

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