Land Art/Niederlande

Flevoland: Menschgemachtes Land, landgemachte Kunst

Flevoland: "Exposure" von Anthony Gormley
Flevoland: "Exposure" von Anthony GormleyMilda Drüke
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Kunst auf künstlichem Land: An der Stelle von Flevoland brandete einst die Nordsee. Dann wurde der Zuidersee Land abgerungen. Heute weiden Kühe hier, wohnen Menschen in Städten und Dörfern – und verteilt sich internationale Land-Art über die Ebene.

Fünf Meter unter dem Meer rollt der Wagen über die schnurgeraden Straßen der jüngsten Provinz der Niederlande. Der Blick schweift über die Ebene, die Alleen, den Klatschmohn, die Kartoffeläcker, die Kanäle, die Waldstücke; Wind streicht übers Getreide, treibt die vielen Windräder an. Außer auf der A6 kreuzt selten ein anderes Gefährt auf. Die Stille vibriert über diesem dem Meer abgetrotzten Land.

Das Navi kann Richard Serras Land-Art nicht finden, führt zu einem leeren Parkplatz. Und jetzt? Dorthin, wo Wasser schimmert? Plötzlich zeigt sich eine Gerade mitten auf der Wiese: Eine Wand aus Zement verläuft 200 Meter durch den Park von Zeewolde, ragt anfangs kaum sichtbar aus dem Boden und wird zur meterhohen Wand. „Sea Level“ hat Serra seine Arbeit von 1996 genannt. Auf der anderen Seite des Kanals exakt ausgerichtet das Gegenstück. Die Nordsee würde bis an die oberen Kanten reichen, gäbe es zwischen Nordholland und Friesland nicht den Deich, der das Meer abhält.

Damm gegen Sturmflut

Mit dem Bau des Damms begannen die Holländer nach einer Menschen und Land verschlingenden Sturmflut. Pläne dafür gab es seit dem 17. Jahrhundert. Im 20. ist die Technik so weit, die Vision umzusetzen. Am 28. Mai 1932 um 13.02 Uhr schloss sich das letzte Tor im 32 Kilometer langen und 90 Meter breiten Abschlussdeich. Aus der Nordseebucht Zuiderzee wurde das Ijsselmeer (die Niederländer nennen Meer See und See Meer). Bis 1968 errichteten sie im Ijsselmeer ein großflächiges System von Deichen zur Landgewinnung: die Zuiderzeewerk. Von der American Society of Civil Engineers wurden sie zu einem der sieben Wunder der Modernen Welt gekürt.

Land Art in Flevoland: "Deltawerk" Ronald Rietveld und Erik de Lyon
Land Art in Flevoland: "Deltawerk" Ronald Rietveld und Erik de LyonMilda Drüke

Nach und nach wurde das Wasser des Ijsselmeers aus den eingedeichten Bereichen gepumpt, hat man Entwässerungsgräben gezogen. Flugzeuge säten Schilfrohrsamen über den schlammigen Polder aus, auf dass die widerstandsfähigen Pflanzen restliches Wasser aus dem Erdreich saugen und mit Sauerstoff versorgen. Das hochgewachsene Schilfrohr wurde verbrannt, Raps ausgesät, Roggen, Weizen, Gerste; zum Schluss Hafer. Dann war der Boden bereitet. Seither bleibt es den Bauern überlassen, was sie auf ihren Feldern anbauen. Parallel war Infrastruktur entstanden: Straßen, Kanäle, Siedlungen wie vom Reißbrett und in den 1980ern mit Almere und Lelystad zwei Städte.Von Almere aus fährt ein Bus mit einem Guide die Land-Art-Punkte an. Aber als Selbstfahrer schafft man's, alle neun Objekte an einem Tag zu erleben. Die A6 führt vom südlichen ins östliche Flevoland zum Nordost-Polder. Die Objekte liegen oft versteckt am Ende von Wegen, die man besser mit robustem Schuhwerk begeht.

Über eines der größten Kunstwerke der Niederlande, das „Aardzee“ von Piet Slegers, darf jeder spazieren. Zwischen den Äckern lässt Sleger Böschungen wie sanfte Wellen über fünf Hektar Land rollen: Meeresdünung in Graslandübersetzt. Für den Künstler Marinus Boezem wiederum ist die Erschaffung Flevolands am Grund der einstigen Meeresbucht ein Ingenieurkunstwerk, dem er ein eigenes hinzufügte: Er ließ 178 Pappeln im Grundriss der Notre-Dame von Reims pflanzen, eine Art grüne Kathedrale. Und westlich von Almere nimmt das „Polderland Garden of Love and Fire“ von Daniel Libeskind eine große Fläche ein. Drei schmale Kanäle, ein Gehweg und ein Streifen schwarzer Kies überschneiden sich. Auf dem Kies stehen versetzt Wände aus Aluminium. Die Linien sollen den Künstler symbolisch mit Menschen an anderen Orten zu anderen Zeiten verbinden.

14.000 Schrauben

Schließlich steht man auf seiner Tour vor dem „Kackenden Mann“. So nennen die Einheimischen „Exposure“ von Antony Gormley, eine hockende Figur in Lelystad, die aufs Markermeer schaut: 25 Meter hoch, aus 44.000 Kilo Stahl, 1800 Streben und 14.000 Schrauben. Als Gormley durch den Polder fuhr, inspirierte ihn der Rhythmus der Linien von Kanälen, Feldern, Windrädern, die Flevoland wie ein gigantisches Nervensystem überziehen. Prähistorisch wiederum mutet das „Observatorium“ von Robert Morris an, aus zwei konzentrischen Erdwällen mit V-förmigen Einschnitten. Das Visier aus Stahl in der Mitte ist exakt ausgerichtet auf den Sonnenaufgang zur Tag- und Nachtgleiche. An der Ostküste erhebt sich auf drei Pfeilern „Riff, PD#18245“ von Bob Gramsma. 8000 km? maritimen Erdreichs hat er dafür bewegt, geformt, mit Spritzbeton ausgegossen und als Schalung aufgestellt.

Eine Brücke führt von Flevoland auf das Noordoostpolder, wo Paul de Kort mit „Pier + Horizon“ einen langen Pier angelegt hat, umgeben von Wasser, auf dem Torfmoor mit Schilf in Wind und Strömung treibt. De Kort erinnert an den Leitdamm, der hier verlief, bevor der Polder entwässert war.

Weiter südlich, versteckt in einem Waldstück, wartet das „Deltawerk“ von Ronald Rietveld und Erick de Lyon. Die Arbeit ist eine Reverenz an die großen Wasserwerke aus aller Welt. Eines davon ist der Deltagoot, in diesem Kanal wurden Naturgewalten simuliert und deren Auswirkungen untersucht. Rietveld und de Lyon haben diesen Deltagoot in ein 200 Meter langes Kunstwerk verwandelt. Große Ruhe umgibt es, genauso wie die acht anderen Land-Art-Objekte auf Flevoland. Und mit etwas Suchen lassen sie sich finden.

LAND-ART IN FLEVOLAND

Objekte: Neun Beispiele für Land-Art verteilen sich über ein großes, flaches Gebiet. www.landartflevoland.nl, www.visitflevoland.nl
Flevoland entstand am Reißbrett, gebildet aus drei Poldern, durch Trockenlegung in der Zuidersee gewonnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2020)

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