Replik

Armutszeugnis eines Industriellen

Stephan Zöchling und Co. sehen vor lauter Klassenkampfbrettern die positiven Effekte von Lohnerhöhungen nicht.

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Stephan Zöchling macht (in der „Presse“ vom 22. Februar) allen hart arbeitenden Menschen von Vorarlberg bis ins Burgenland einen riesengroßen Gefallen, jenen Arbeitnehmern, die trotz Vollbeschäftigung mit ihrem Gehalt nicht auskommen. Warum? Weil er mit der unerträglichen Überheblichkeit eines Großindustriellen agitiert, die zum Klassenkampf einlädt.

Der Mindestlohn war zweifelsfrei das zentrale Wahlkampfthema bei den burgenländischen Landtagswahlen, und es wurde von Beginn kontroversiell diskutiert. Vor allem die Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer und die ÖVP liefen Amok und leisteten so Vorschub für die absolute Mehrheit der Sozialdemokratie. Höhepunkt war die Aussage des hiesigen Präsidenten der ÖVP-dominierten Wirtschaftskammer. Er meinte sinngemäß, wo wir da hinkämen, wenn Reinigungskräfte einen Mindestlohn von zehn Euro netto pro Stunde bezahlt bekommen würden. Als Nächstes würden sie dann 20 oder 30 Euro wollen.

Das ist der bourgeoise Gestus jener, die sich von den Lebenswelten ihrer eigenen Angestellten meilenweit entfernt haben. Dieser WK-Präsident führt ein Autohaus, wo diese Reinigungskraft wahrscheinlich über 100 Euro pro Stunde für die Reparatur ihres Autos bezahlen muss. Wie soll sich das ausgehen? Höhere Löhne fließen in die Wirtschaft, das müsste auch den Geschäftsführer eines Betriebes freuen, der Auspuffe herstellt, denn die werden auch mal kaputt. Dieser Geschäftsführer malt jedoch den Teufel an die Wand und fürchtet, dass es eine „schleichende Erhöhung“ geben wird. Nun gut, wie der Schelm denkt, so ist er. Ob höhere Gehälter wieder „aufgefressen“ werden, hängt von der Unfähigkeit der Politik ab, endlich die kalte Progression abzuschaffen und die Steuern auf Arbeit zu senken. Und die Mieten stiegen in den vergangenen fünf Jahren um 13 Prozent, ganz ohne Mindestlohn. Höhere Gehälter ergeben höhere Pensionen, die nicht nur vor Altersarmut schützen, sondern auch verschiedene Sozialleistungen unnötig machen oder minimieren. All diese positiven Effekte sehen Zöchling und Co. vor lauter Klassenkampfbrettern nicht, stattdessen will er dem Burgenland „Nachhilfe in BWL“ verordnen. Bei der Bezeichnung von „kommunistischer Lohnpolitik“ zeigt sich die erstaunliche Niveaulosigkeit der Debatte, die vonseiten der Wirtschaft geführt wird, weil offensichtlich die Sachargumente ausgehen.

Mindestlohn Menschenwürde

Viele fragen sich seit der Wahl im Burgenland, warum ein Mindestlohn von zehn Euro netto pro Stunde so viele in Rage bringt? Landeshauptmann Doskozil hat es auf den Punkt gebracht: Es sei der Menschenwürde geschuldet, dass jeder Arbeitnehmer mindestens zehn Euro pro Stunde für eine Leistung in einem so reichen Land wie Österreich erhält. Zöchling bezeichnet den Mindestlohn aber als „taktisches Wahlgeschenk“. Über 420.000 Menschen in Österreich verdienen bei einem Vollzeitjob weniger als 1700 Euro brutto, der Großteil davon Frauen. Diese haben die Botschaft im Burgenland verstanden: 59 Prozent dieser Frauen haben die SPÖ gewählt, übrigens auch 51 Prozent der Selbstständigen, denn es gibt auch Unternehmer, die jetzt schon den Mindestlohn bezahlen können und wollen. Auch das Narrativ, dass die „Sozialisten“ mit Geld nicht umgehen können, ist ein dümmlicher Kalauer, der seit der Finanzkrise 2008 nur mehr bei verstaubten Vorstandssitzungen für Schmunzeln sorgen dürfte. 68 Mrd. Euro hat dieses neoliberale Desaster allein in Deutschland gekostet, verursacht von jenen Vertretern, die anderen einen BWL-Kurs verordnen wollen und gerne im Pluralis Majestatis formulieren.

Der Autor

Dr. Roland Fürst, Landesgeschäftsführer der SPÖ Bgld. & Landtagsabgeordneter.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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Doskozils Todeslohnspirale
Von Kommunisten und Polemikern

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2020)

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