Karl: „Talente von Kindern oft gar nicht entdeckt“

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Karl bdquoTalente Kindern nicht(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Wissenschaftsministerin Karl verspricht Geld für Spitzenforschung – und drängt auf Schulreform. Auch private Investoren will Ministerin Karl noch stärker in die Pflicht nehmen.

LINDAU. Eigentlich ist Lindau am deutschen Bodenseeufer im Sommer vor allem von Touristen beherrscht. Nur einige wenige Tage lang ist die Stadt alljährlich auch „the smartest town in the world“ – also der vielleicht „klügste Ort der Welt“ –, wie einer der Teilnehmer des traditionellen Nobelpreisträgertreffens bemerkt: Seit 60 Jahren schon kommen Wissenschaftler von Weltruhm in Lindau zum einwöchigen Gedankenaustausch zusammen. Sie halten Vorträge, pflegen den Austausch zwischen den Disziplinen, knüpfen Kontakte.

Lindau ist in diesen Tagen im Ausnahmezustand, die große Inselhalle mit hunderten Zuhörern gefüllt. Denn die Nobelpreisträger – dieses Jahr für Physik, Medizin und Chemie – bleiben nicht unter sich. Worum es bei der Tagung geht, ist der Austausch mit Nachwuchswissenschaftlern aus rund 70 Ländern. Eingeladen sind nur die Besten, von tausenden Bewerbern haben nur 675 junge Forscher eine Zusage erhalten. Darunter elf aus Österreich.

Die Nobelpreisträger scheinen den Austausch mit der künftigen Elite zu schätzen. 59 sind gekommen, darunter klingende Namen wie Ada Yonath, die als erst vierte Frau 2009 den Chemie-Nobelpreis für ihre Forschung zu Struktur und Funktion von Ribosomen erhielt.

Nicht selten zeigt sich hier, dass die besten Forscher auch die besten Lehrenden sind: Die Wissenschaftler halten launige Vorträge, ihre komplexen Themen bereiten sie verständlich auf. In kleinen Runden wird lange diskutiert. Man wolle zeigen, dass „wir ganz normale Menschen mit zwei Händen und zwei Augen sind, die oft nur gebrochenes Englisch sprechen“, sagt einer von ihnen. „Viele von uns hatten einfach nur den Mut, Forschung zu betreiben, von der zuvor niemand wusste, wohin sie führen kann.“

Auf der Suche nach Kontakten

Die jungen Teilnehmer können sie damit begeistern, viele sprechen „vom größten Tag ihrer bisherigen wissenschaftlichen Karriere“. Ähnlich sieht das die 30-jährige Christina Luley, die an der TU Graz als Post-Doc am Institut für Biotechnologie forscht. Zwei Auswahlverfahren musste sie durchlaufen, um es bis hierher zu schaffen. Luleys Ziel: in persönlichen Kontakt mit Preisträgern zu treten und Kontakte zu anderen jungen Forschern zu knüpfen. Denn diese seien „heutzutage unerlässlich“, auch für ihr Forschungsvorhaben zur „In-vitro-Glykosylierung“, wie Luley erklärt.

Unter den Teilnehmern ist auch die österreichische Wissenschaftsministerin Beatrix Karl. Sie ist zum Meinungsaustausch mit den Nobelpreisträgern gekommen, trifft hier ihre deutsche Amtskollegin Annette Schavan und die thailändische Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn, berät sich mit Vorsitzenden deutscher Stiftungen zur Wissenschaftsförderung. In Lindau ist Österreich gut vertreten – das Ministerium fördert die Teilnahme heimischer Wissenschaftler mit jährlich 15.000 Euro.

Die Frage, ob es schmerzt, dass keiner der Nobelpreisträger Österreicher ist, lässt Karl unbeantwortet. Sie blicke lieber in die Zukunft: „Wir müssen darauf hinarbeiten, dass es bald wieder einen heimischen Nobelpreisträger gibt“, sagt sie im „Presse“-Interview. Das Vorhaben: Sie wolle, auch nach den „vielen beeindruckenden Begegnungen“ in Lindau, künftig noch stärker in die Exzellenzförderung investieren, so die Ministerin.

Ansetzen will Karl, die zuletzt mit der Forderung nach einer gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen für Aufregung sorgte, erneut schon beim Schulwesen: Derzeit würden – vor allem naturwissenschaftliche oder technische – Begabungen und Talente bei Kindern „oft gar nicht entdeckt oder einfach zur Seite geschoben“. Hier müsse es rasch Reformen im Unterrichtssystem und bei der Lehrerausbildung geben, so Karl. Bestehende gute Initiativen zur Förderung des Nachwuchses – wie etwa die Kinderuni und „Sparkling Science“ – müssten weiter ausgebaut werden.

Millionen für Exzellenzcluster?

In der Forschung will Karl nun vor allem „bestehende Stärken bündeln“ – wie etwa jene im Bereich der Quantenphysik und der Molekularbiologie. Dafür stellt sie zusätzliche Finanzmittel in Aussicht: Die von der ÖVP mehrfach angekündigte Ökologisierung des Steuersystems soll insgesamt 100 Millionen Euro für Wissenschaft und Forschung bringen. Ein Teil davon werde künftig in mehrere „international sichtbare“ Exzellenzcluster fließen, verspricht Karl.

Nur so „ist es künftig möglich, im Bereich der Spitzenforschung im internationalen Wettbewerb zu bestehen“. Die Exzellenzcluster, so Karl, müssten sich verstärkt der Förderung des Nachwuchses widmen. „Wir müssen unseren jungen Forschern noch mehr Perspektiven bieten und sie mittels Stipendien fördern.“ Derzeit sei die Qualität der Personalentwicklung an Unis noch „sehr unterschiedlich“.

Ministerin umwirbt Stifter

Auch private Investoren will Ministerin Karl noch stärker in die Pflicht nehmen. Erst zuletzt hatte sie kritisiert, dass von den 1,3 Prozent des BIPs, die derzeit in Österreich in den tertiären Sektor fließen, nur 0,1 Prozent aus privater Hand stammen. So gebe es in Österreich (anders als im benachbarten Deutschland) auch kaum Stiftungen, die sich mit der Förderung von Wissenschaft und Forschung beschäftigen, kritisiert die Ministerin. Sie will bei potenziellen Stiftern Lobbying für konkrete Projekte betreiben. Welche konkreten Anreize es geben könnte, ist noch nicht klar.

Als heimisches Vorbild könne auch das derzeit entstehende Exzellenz-Institut IST Austria in Maria Gugging dienen. Diesem sei es erst unlängst gelungen, zehn Millionen Euro aus privater Hand anzuwerben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2010)

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