Elettrica

Vespa: Was soll aus Polini werden?

Außen Primavera, innen Elektro: Die Vespa Elettrico 70 mischt sich stilvoll in die 125er-Klasse.
Außen Primavera, innen Elektro: Die Vespa Elettrico 70 mischt sich stilvoll in die 125er-Klasse.(C) Beigestellt
  • Drucken

Akku statt Auspuff: Vespa führt die Elettrica 70 ins Feld. Das Publikum soll entscheiden.

„Ich erinnere mich noch an die Vespas von damals“, sprach der Vater, den Blick in die Ferne gerichtet. „Wie leise sie dahinsurrten, so schick und elegant.“

Stumm nickend stellte ich mich auf den Kickstarter meiner 50   Special. Das Überwinden der erhöhten Kompression forderte vollen Einsatz. Man hörte gleich, wenn es gelang: 138  Kubikzentimeter mit Doppelansauger und Membran plus Polini-Schnecke – der beliebteste Tuning-Auspuff der Zweitakt-Ära mit auffallend kernigem Klangbild – waren ein effizientes Mittel zur Umwandlung von Oktan in Dezibel. 104 davon bescheinigte mir eine mobile Lärmmessung im Planquadrat am Praterstern anno 1986, die Gebühr dafür: existenzbedrohende 900 Schilling.

Mein „Ciao, Papa!“, mit dem ich aus der Garage startete, hörte der Altvordere wahrscheinlich nicht. Vielleicht war ich zu kleinlaut oder er zu entsetzt. Eventuell dämmerte ihm auch gerade, warum die Nachbarn aufgehört hatten, uns zu grüßen.

Die Zeiten haben sich geändert. Leise reiten ist heute nicht nur etwas für Eltern- und Nachbarschaftsversteher. Dank beengterem Lebensraum und dem Verkehrsaufkommen darin ist es auch ein probates Mittel zur Konfliktvermeidung. Elektroautos sind ohnehin eher eine Glaubensfrage als eine Faktenlage – und das Platzproblem lösen sie so oder so nicht.
In der Vespa taugt der E-Antrieb hingegen für die Reinkarnation der Uridee: ein kompaktes, schmutzfreies und leises Gerät für Stadt und Umland hat der Flugzeugingenieur im Sinn gehabt, der sie vor 74 Jahren erfunden hat. Einen Motorradführerschein besaß er gar nicht.

Seit vergangenem Jahr ist die Elettrica 45 auf dem Markt, die ihren E-Antrieb unter dem feschen Kleid der Primavera trägt. Die Zahl bezeichnet die Höchstgeschwindigkeit und normt sie somit als Rottaferlklässler. Schon aus Imagegründen ist das nicht jedermanns Sache, also wird heuer mit der Elettrica 70 nachgelegt, im gleichen Blechkleid entsprechend flotter unterwegs und nominell in der 125er-Klasse zu Hause, also mit Motorradtaferl.

Spiralkabel zum Laden ist an Bord, maximal vier Stunden saugen die Akkus am Stecker.
Spiralkabel zum Laden ist an Bord, maximal vier Stunden saugen die Akkus am Stecker.(C) Beigestellt



5,4 PS klingen nicht üppig, 200 Newtonmeter Drehmoment aber sehr wohl. Auf Knopfdruck werden zunächst nur Beleuchtung und Instrumente geweckt, die schlanke Italienerin selbst wartet stumm auf den Einsatzbefehl vom Gasgriff, der jetzt ein Stromregler ist. Bis 50  km/h geht sie kräftig ans Werk, beschleunigt naht- und so gut wie lautlos. Den restlichen Zwanziger nimmt sie mit ein wenig Nonchalance – auf den Stockerlplatz im Topspeedsprint wird zugunsten von mehr Energieeffizienz verzichtet. Fahrmodi wie in Benz, Bayer oder Horch gibt es auch – hier mit Eco, Power und, wer’s wirklich braucht, Reverse belegt.

Das Ecoprogramm ist zwar eine Selbstbeschränkung auf den Mopedbereich, also 45  km/h, zusammen mit der höheren der beiden Rekuperationsstufen ist die Katalogreichweite von 100  Kilometern damit im Innerstädtischen mit seinen zahlreichen Bremsmanövern tatsächlich machbar.

Wer lieber aus dem Vollen schöpft und auch im Umland unterwegs ist, muss mit um die 70 Kilometer Maximaldistanz auskommen. Fit ist die Elettrica dafür in knapp vier Stunden Ladezeit, also etwa der Dauer eines zünftigen Mittagessens nach italienischer Art. Mit an Bord: Ein praktisches Spiralkabel plus die schlaue Lösung zum Gebrauch – es lässt sich durch eine Aussparung am Sitz nach außen führen, Stromsaugen bei geschlossener und versperrter Sitzbank ist also kein Problem.
Sonst noch etwas? Smartphone-Anbindung selbstverständlich, samt der Option eines todschicken Vespa-Helms mit darin verbauten Kopfhörern – für Musik in den Ohren, die nicht aus Ansaug- und Auspuffgeräusch besteht. Vater wäre hochzufrieden.

(C) Beigestellt

Auch Rom liegt am Strom

Noch zieren die meisten Vespas Auspuffe von
Polini und Akrapovic. Und noch ist die Elettrica teuer.

Name: Vespa Elettrica 70
Preis: 7890 Euro
Antrieb: E-Motor, bürstenfrei
Batterie: 4,2 kWh/400 Volt
Leistung: maximal 4 kW (5,4 PS)
Drehmoment: 200 Newtonmeter
Vmax: 70 km/h
Reichweite: 70–100 km
Gewicht: 130 kg

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 21.03.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.