Nachruf

Kenny Rogers, ein Frauen­liebling für Stadt und Land

Stets eine soignierte Erscheinung auf der Bühne: Countrystar Kenny Rogers.
Stets eine soignierte Erscheinung auf der Bühne: Countrystar Kenny Rogers.imago images / United Archives
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Zu seinen Songs konnte man gut bügeln und noch vorzüglicher schmachten. Kenny Rogers, der amerikanische Country-Pop-Star mit dem markant rauchigen Bariton, ist nun im Alter von 81 Jahren gestorben.

Sing your song, sweet music man, nobody sings a love song quite like you“, sang Millie Jackson kraftvoll und mit dunklem Timbre. Man schrieb das Jahr 1978 und die Paartänzer in den überschaubar wenigen Diskotheken Wiens drehten sich sachte dazu. „Sweet Music Man“ war der Lamourhatscher der Saison. Was klang wie eine Soulballade, war im Original eine recht selbstkritische Countrynummer aus der Feder von Kenny Rogers. Der „Sweet Music Man“, der darin besungen wurde, war das jüngere Selbst von Rogers. Es ist aus der Perspektive einer flüchtigen Geliebten erzählt, die den von ihr verehrten Sänger verlässt. „You're a heck of a singer and powerful man, but you surround yourself with people who demand so little of you.“ Dieses Dokument einer Läuterung ist ein Schlüsselsong im Oeuvre von Kenny Rogers. 1977 erschienen, beschrieb er seinen Entschluss, den lockeren Hippielifestyle aufzugeben und seriös zu werden.

Auch musikalisch. Eine Zeit lang versuchte sich Rogers sogar als Bassist in einem Avantgardejazz-Trio. Doch kommerzielle Erfolge, wie die Interpretation der Countryballade „Lucille“ von 1977, veranlassten Rogers, sein eigenes Songwriting zurückzustellen und sich Coverversionen zu widmen, die das Individuum im Moment der Versuchung zeigten – mit nicht zu wenig Pathos. Im Fall von „Lucille“ ist der Schauplatz eine Bar gewesen, in der der Protagonist eine attraktive Frau kennenlernt, die sich den Ehering vom Finger schiebt und ihm nach ein paar Drinks sagt, dass sie einem Abenteuer nicht abgeneigt wäre. Da kommt der hünenhafte Ehemann ins Lokal und klagt: „You picked a fine time to leave me, Lucille, with four hungry children and crop in the field, this time your hurting won't heal.“
Mit seinem sentimentalen, leicht kratzigen Bariton sang sich Rogers in die Herzen des internationalen Kleinbürgertums, das Verzicht bekanntlich gern heroisiert. Und so kam es in „Lucille“ selbstverständlich nicht zum Äußersten. Rogers verkaufte fünf Millionen Stück von dieser Single und war in zwölf Ländern an der Spitze der Popcharts. Angefeuert von diesem Erfolg lieferte Rogers mit „Coward of the County“ und „The Gambler“ weitere Millionenhits, deren Szenarien ähnlich simpel wie John-Wayne-Western waren. Als Bühnenerscheinung hatte er schon früh etwas Soigniertes. Sein grau melierter Vollbart, die moderate Länge seines Haars und seine Vorliebe für dreiteilige Anzüge und Lederjacken der braven Art machten ihn zum Frauenliebling. Noch mehr aber war es seine zart angeraute Stimme. Sie begeisterte die Damenwelt am Land genauso wie in den Städten. Das war ein Novum.

Kommerziell und mildtätig. „Ich habe mich nie für einen besonders guten Sänger gehalten, aber ich habe eine kommerzielle Stimme“, meinte er über seine Midas-Gabe. In den Achtzigerjahren arbeitete Rogers mit vielen Stars aus anderen Genres. Seinen Hit „Lady“ schrieb und produzierte Lionel Richie, „Islands in the Stream“, sein Ohrwurmduett mit Dolly Parton, der umtriebige Barry Gibb von den Bee Gees.
Der dreifache Grammy-Gewinner war auch unter den 45 Popkünstlern, die 1985 die Benefizsingle „We Are the World“ einsangen. Mildtätigkeit gehörte zu Rogers guten Seiten. Von seinem 1982 mit RCA unterzeichneten, mit 20 Millionen Dollar dotierten Vertrag spendete er umgehend eine Million der Welthungerhilfe. In den Neunzigerjahren wurden einige erotische Übergriffe bekannt, die, wären sie in der MeToo-Ära passiert, seine Karriere anständig ramponiert hätten. Sein Abschiedskonzert gab Rogers 2017. Mit dabei waren alte und junge Freunde wie Kris Kristofferson, Chris Stapleton und Dolly Parton. Nun ist Kenny Rogers im Kreis seiner Liebsten eines friedlichen Todes gestorben.

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