Kandidatenturnier

Ellenbogenchecks am Schachbrett

Der neue Schach-Handshake: Jan Nepomnjaschtschi (l.) und Kirill Alexejenko.
Der neue Schach-Handshake: Jan Nepomnjaschtschi (l.) und Kirill Alexejenko.(c) via REUTERS (FIDE)
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Favoriten in Quarantäne und „feindliche Atmosphäre“: Jan Nepomnjaschtschi meistert die Widrigkeiten in Jekaterinburg bisher am besten. Nun trifft der Russe im Spitzenduell auf seinen ersten Verfolger.

Jekaterinburg. Das Topduell steht an. Acht Schach-Großmeister spielen beim sogenannten Kandidatenturnier in Jekaterinburg um das Recht, gegen Weltmeister Magnus Carlsen anzutreten. Nach sechs Runden und einem Ruhetag liegt der 29-jährige Russe Jan Nepomnjaschtschi mit 4,5 Punkten in Führung, der Franzose Maxime Vachier-Lagrave, 29, ist mit 3,5 Punkten sein erster Verfolger. Heute treffen die beiden aufeinander (ab 12 Uhr MESZ, live candidates-2020.com).

Seit einer Woche wohnen und spielen die Schachgenies im Hyatt-Hotel in der Millionenmetropole östlich des Urals. Ob der Coronavirus-Pandemie wird auf Händeschütteln und sonstige Formalitäten am Schachbrett verzichtet, vor Beginn der Partien wird das Thermometer gezückt und bei allen Teilnehmern Fieber gemessen. Zuschauer gibt es vor Ort keine, und jene Journalisten, die es noch rechtzeitig nach Jekaterinburg geschafft haben, befinden sich erst einmal in zweiwöchiger Quarantäne in ihren Hotelzimmern.

Der Internationale Schachverband Fide will sein Prestige-Turnier wie geplant bis 3. April durchziehen. Längst wird das Event als ideale Beschäftigung in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen verkauft. Doch die Widrigkeiten sind nicht zu übersehen. Alexander Grischtschuk (RUS) etwa forderte dieser Tage, das Turnier zu stoppen. „Die gesamte Atmosphäre ist feindlich. Jeder trägt eine Maske, und dann das gesamte Sicherheitspersonal“, meinte der mit 36 Jahren erfahrenste Teilnehmer im Feld. Deng Liren, 27, aus China galt als Mitfavorit, er hat inzwischen aber zwei Quarantäne-Perioden hinter sich, einmal in China, einmal in Moskau, prompt verlor er seine ersten beiden Partien. Und Teimur Radschabow, 33, aus Aserbaidschan ist erst gar nicht angetreten. Seine Bitten, das Turnier zu verschieben, blieben ungehört, also verzichtete er.

Nur so ist der aktuell zweitplatzierte Vachier-Lagrave überhaupt ins Feld gerückt. Der Außenseiter und studierte Mathematiker schlägt sich beachtlich. Topfavorit beim Kandidatenturnier ist nun aber Nepomnjaschtschi. Wegen seiner unbekümmerten Spielweise – der 29-Jährige aus Brjansk ist Schnellschach-Spezialist – galt der Weltranglistenfünfte ohnehin als Geheimfavorit. Sein größter Erfolg mit klassischer Bedenkzeit war bisher der Gewinn der Europameisterschaft 2010.

Angesichts der Umstände flüchtet sich die Schachelite in Jekaterinburg in den Humor. Der Niederländer Anish Giri, 25, erklärte: „Man kann sich nur mit Schach ablenken, wenn man die vielen News über das Coronavirus liest.“ Der führende Nepomnjaschtschi meinte: „Meine tägliche Routine ist, Anish Giris Konten auf Twitter und Instagram zu checken, um neue Weisheiten zu finden.“ (joe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2020)

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