Glaubensfrage

2020, das sehr spezielle Jahr

Ein Palmsonntag, eine Karwoche, ein Ostern unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Chance und Risiko des Auf-sich-zurückgeworfen-Seins.

Ein Palmsonntag ohne die in Teilen der Christenheit seit 1400 Jahren (!) gepflogene Prozession, in Österreich mit den sogenannten Palmkätzchen, dem Blütenstand der Weiden, den untrüglichen Zeichen des begonnenen Frühlings? Ohne Segnung derselben vor der Kirche unter freiem Himmel? Eine Karwoche, eine „Heilige Woche“ mit Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag ohne die an diesen Tagen vorgesehene so einzigartige Liturgie? Ja. Ein Virus macht Unmögliches nicht nur möglich, sondern lässt es als notwendig erscheinen.

Das heißt, die Liturgie wird ja gefeiert, aber hinter verschlossenen Türen. Und in extrem exklusivem Rahmen. Niemand außer einer Handvoll Priester als Repräsentanten der von der Gemeinde Ausgewählten (nicht zu verwechseln mit den Auserwählten, aber das führte theologisch jetzt zu weit) dürfen ganz real und leibhaftig, nicht nur virtuell, in der Kirche mit dabei sein. Der Rest, also alle anderen, sind auf TV und Onlineangebote angewiesen.

Ostern 2020 ist ein Ostern, das es in dieser Form noch nie gegeben hat. Ostern 2020 ist auch ein wenig eine vergebene Chance, das, was gern als „Hauskirche“ bezeichnet wird, zum Erblühen zu bringen. Ostern 2020 ist ein Härtetest für jene Minderheit unter den Österreichern, die an Jesus Christus als dem Auferstandenen glaubt. (Glaubt man Umfragen, glauben die Österreicher an so allerlei. Das Bauen auf zentrale Säulen des christlichen Glaubensgebäudes schwindet aber.)

Ostern 2020 ist auch ein Härtetest für jene, die das Fest ausschließlich als Brauchtum sehen, als Anlass für Familienzusammenkünfte und -ausflüge, als Grund, sich von Eltern, Schwiegereltern, Kindern bekochen zu lassen oder gemeinsam auswärts essen zu gehen. All das – und generell noch vieles mehr – ist gefühlt seit Äonen von staatlichen Behörden verboten. Ostern 2020, wie die durch ein Virus bedingte Situation insgesamt, ist ein Stresstest für Familien, für Beziehungen – und für die, die allein leben (müssen). Natürlich auch ein Stresstest für die Helfer in der Medizin, vom Primar bis zum Krankenträger, für Handelsangestellte, für arbeitslos Gewordene etc.

2020 ist ein Stresstet für das gesamte System, das politische, medizinische, ökonomische, für die Gesellschaft, die Menschheit. Ob dann, wenn die große Bedrohung vorbei sein wird, daraus Lehren gezogen werden? Allzu hochtrabende Hoffnungen sollte man sich nicht machen. Gesetzmäßigkeiten, wie die Menschen gemeinhin und daraus abgeleitet Wirtschaft, Politik und Gesellschaft funktionieren, werden sich nicht leicht ändern lassen. Auch wenn es noch so wünschenswert wäre. Wir leben nun einmal ganz und gar nicht in einer perfekten Welt. Diese Tage machen das mehr als deutlich – ohne und mit Ostern als Hoffnungsanker.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

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