Gericht

Rechtsstaatlichkeit: EuGH bremst Polens „guten Wandel“

Jarosław Kaczyński
Jarosław Kaczyńskiimago images/Eastnews
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Das Höchstgericht der EU ordnet die sofortige Aussetzung der von der Regierung in Warschau installierten Disziplinarkammer für Richter an.

Luxemburg. Als der Europäische Gerichtshof (EuGH) Ende März eine Klage polnischer Richter gegen Disziplinarmaßnahmen seitens der Regierung wegen Nichtzuständigkeit zurückgewiesen hat, herrschte in der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS Genugtuung – schließlich ist Kontrolle über die Gerichte zentraler Bestandteil ihres Projekts des langfristigen Umbaus der Staatsstruktur Polens. Doch die Freude währte nicht lange. Am Mittwoch feuerte das Höchstgericht der EU eine Breitseite gegen den „guten Wandel“, den PiS-Chef Jarosław Kaczyński seinem Land verordnet hat. Die Luxemburger Richter gaben einem Antrag der EU-Kommission auf einstweilige Verfügung statt, wonach die Anwendung eines Gesetzes zur Disziplinierung von Richtern ausgesetzt werden muss.

In der Causa (Rechtssache C-791/19 R) geht es um eine im Jahr 2018 gegründete Disziplinarkammer, die jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen kann. Das Gremium nahm im Herbst 2018 seine Arbeit auf. Es ist zum Großteil mit Juristen und ehemaligen Staatsanwälten aus der Umgebung von Justizminister Zbigniew Ziobro besetzt, der innerhalb der PiS als Hardliner gilt.

Aus Sicht des Obersten Gerichts in Polen (der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung war) verstößt die Kammer gegen europäisches und polnisches Recht. Die Kommission schloss sich dieser Sicht an – und klagte im Herbst 2019 vor dem EuGH. Die polnische Regierung wehrte sich gegen die Klage mit dem Argument, wonach die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit falle.

Die Luxemburger Höchstrichter ließen diese Argumentationslinie nicht gelten. Ihr Gegenargument: Die Organisation möge zwar Ländersache sein, doch bei der Ausübung dieser Tätigkeit seien alle Verpflichtungen einzuhalten, die sich aus dem EU-Recht ergeben – etwa hinsichtlich der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz.

Endgültiges Urteil folgt

Dass der EuGH für eine einstweilige Verfügung entschieden hat, hängt mit der Brisanz der Angelegenheit zusammen: „Die bloße Aussicht für Richter (...), mit einem Disziplinarverfahren belangt zu werden (...), kann nämlich deren Unabhängigkeit beeinträchtigen“, heißt es in der Begründung. Das endgültige Urteil wird der EuGH zu einem späteren Zeitpunkt fällen. Wegen der umstrittenen Justizreform sind noch weitere Rechtssachen anhängig.

Es ist nicht das erste Mal, dass der EuGH im Zusammenhang mit Polen zum Mittel der einstweiligen Verfügung greift. 2017 zwang das EU-Höchstgericht die polnische Regierung dazu, Rodungsarbeiten im Biosphärenreservat Białowieża zu stoppen, nachdem Warschau den Einspruch der EU-Kommission ignoriert hatte. (ag./la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2020)

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