Militärgeschichte

Wer den „Seuchenkordon“ umging, wurde erschossen

1720: Die Pest in Marseille.
1720: Die Pest in Marseille.Gemeinfrei
  • Drucken

Die österreichischen Grenztruppen zum Osmanischen Reich waren in früheren Jahrhunderten die höchste Gesundheitsinstanz. Zum Schutz vor Beulenpest, Cholera oder Fleckfieber wurden Reisende prophylaktisch für drei Wochen in Quarantäne geschickt.

Angst und vorausschauende Prävention vor Seuchen und ins Land eingeschleppte Krankheiten: „Wenn nötig, dann mit Quarantänebestimmungen“, sagt Daniela Angetter. Die Historikerin am Austrian Center for Digital Humanities and Cultural Heritage der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) münzt diese Aussage nicht auf die aktuelle Covid-19-Pandemie, sie nimmt vielmehr Bezug auf die schon vor Jahrhunderten praktizierten Quarantäne- und Präventionsmaßnahmen in den Habsburgerländern.

Die erste Bekanntschaft mit eingeschleppten Krankheiten machte die Bevölkerung in der Zeit der Kreuzzüge. Als vom Ende des 11. bis zum 13. Jahrhunderts die abendländischen Krieger mit bis dato unbekannten Leiden, Hautausschlägen und verschiedenen Erkrankungen zurückkehrten, reagierte man mit einer zeitlich begrenzten Absonderung der offensichtlich infizierten Kreuzritter. Ab dem 13. Jahrhundert erwiesen sich die in vielen Städten und Orten von privaten Gönnern und kirchlichen Stiftungen errichteten Bürgerspitäler als geeignete Quarantänestationen. Diese Bürgerspitäler waren nicht Spitäler im heutigen Sinn, sie waren vielmehr Zufluchtsstätte für verarmte, chronisch kranke und sieche Personen und übernahmen auch die Aufgabe der Seuchenhäuser.

Beulenpest, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber und Pocken führten seit dem Mittelalter immer wieder zu verheerenden Infektionskrankheiten, denen man schon im 14. Jahrhundert mit Quarantänestationen – z. B. für Reisende und Kaufleute außerhalb der Stadtmauern eingerichtet – begegnete. In italienischen Hafenstädten und in Marseille wurden Schiffe bei ihrer Ankunft angehalten, die Mannschaften vorerst am Verlassen ihrer Schiffe gehindert und gesundheitlich untersucht.

Angst vor dem „wilden Volk“

In der Habsburgermonarchie wurde nach der Ersten Türkenbelagerung 1529 die Grenze zum Osmanischen Reich unter Beobachtung gestellt. Die Militärgrenze wurde zur Gesundheits- und Quarantänegrenze für den trotz ständiger kriegerischer Ereignisse beträchtlichen Handels- und Warenverkehr. Wo nicht Flüsse die natürliche Grenze bildeten, legte man an potenziellen Einfallsrouten Gräben, Zäune und Verhaue an. Obwohl im Islam bestimmte Reinheitsgebote vorgeschrieben sind, sah man die Türken als „wildes“ und „unkultiviertes“ Volk, vor dem man Angst hatte und sich gegen Krankheitsübertragungen abschotten musste. „An der Militärgrenze war ein rasches Erkennen von epidemisch auftretenden Krankheiten und das Einleiten entsprechender Gegenmaßnahmen ein wesentlicher Aspekt der Gesundheitsvorsorge“, sagt Daniela Angetter. Die Grenztruppen, so die Historikerin, überwachten den sogenannten Seuchenkordon und hatten die Aufsicht über Quarantänestationen, in denen Ankommende sich reinigen und einer ärztlichen Untersuchung unterziehen und dann für etwa drei Wochen in Quarantäne verbleiben mussten.

Erst nach Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses, der „Sanitäts-Fede“, durfte die Grenze überschritten werden. Für Tiere und Waren gab es ebenfalls strenge Kontrollen. So mussten eigene Wolldiener die aus dem Osmanischen Reich kommenden Wolllieferungen extensiv durchwühlen. Erkrankte einer, wurde die von ihm behandelte Ware sofort verbrannt. Auch Geld wurde desinfiziert, indem man es in Essig tauchte.

Die Missachtung der Quarantänevorschriften wurde mit der sofortigen Todesstrafe geahndet. „Wer illegal die Grenze überschritt, wurde standrechtlich erschossen“, sagt die ÖAW-Historikerin Angetter. Die ausgestellten Sanitäts-Feden über Personen und Waren galten als öffentliche Urkunden, die auch in den österreichischen Ländern vorgewiesen werden mussten. Bei einem Versuch der Fälschung wurde die betroffene Person wegen Betrugs verurteilt.

Als im 19. Jahrhundert Feldmarschall Graf Radetzky 1831/32 nach einer Grippeepidemie bei seinen in Italien stationierten Truppen eine alarmierende Nachricht an den Wiener Hof sandte, wurden auch die Hygiene- und Gesundheitsvorschriften für das eigene Heer erneuert. Unter anderem wurde die Zahl der Feldärzte erhöht, man schrieb eine angemessene Gesundheitspflege vor und jeder Offizier musste mit den Grundsätzen der Gesundheitslehre vertraut sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.