Abenteuerreise mit der Tram durch Wien

Geschichten und Fotos über die Straßenbahnlinien einst und jetzt.

Was der Eisenbahn- und Tramway-Experte Peter Wegenstein an historischen Fotos und Wissenswertem über die Straßenbahnen Wiens zusammengetragen hat, war gewiss eine Herkulesarbeit. Da gibt es aber manche Leser, die mit den unzähligen Fahrzeugtypen wenig anfangen können. Und diese werden mehr fasziniert sein von dem Drumherum auf den Fotos von einst. Die Straßenzüge, die Hausfassaden, die unabsichtlich ins Bild geratenen Passanten – all dies ist ein hübsches Nebenprodukt dieses Buchs („Wege aus Eisen in Wien“, Edition Winkler-Hermaden).

Da ist sie noch, die alte Stadtbahnstation Meidling Hauptstraße im Jahre 1958! Und abfahrbereit eine jener rötlich-braunen Garnituren, die einst das Stadtbild prägten und uns einen Hauch von Fernreise vermittelten, auch wenn die nur bis Hütteldorf reichte.

Und da, am Parlamentsgebäude rauscht ein T-Wagen vorbei, vor dem Ersten Weltkrieg hergestellt, um 1952 mit neuer Karosserie versehen. Zwei mittelalterliche Herren blicken kurz auf, sind vielleicht auf dem Weg ins Büro – selbstverständlich in Anzug mit Krawatte, die braune Aktentasche enthält wohl das „Menagereindl“ mit dem vorgekochten Mittagmahl.

Meine Lieblingslinie war der E2 von Gersthof-Herbeckstraße bis Radetzkystraße – eine Stunde Abenteuer um 50 Groschen (für Kinder bis 14, aber über 1,50 Meter nur mit Kinderausweis)! Währinger-, Schwarzspanier-, Lastenstraße – was gab es da nicht alles Spannendes zu entdecken, wenn man seinen Stammplatz auf der vordersten Plattform gleich hinter dem Straßenbahnfahrer ergattert hatte! Als führe man selbst den Abhang zum Getreidemarkt hinab, müsse mit der Klingel Autofahrer verscheuchen, gleichzeitig die glänzende Messingkurbel drehen, die winters mit einem aparten Wollhandschuh umhüllt war – einziger Ausdruck der Individualität des Herrn Schaffners.

In den Fünfzigerjahren fuhr das Kind noch an zahlreichen Bombenruinen vorbei. Ganz selbstverständlich war das, etwa in der Nordbahnstraße. Dort passierte der 24er (nach Kaisermühlen) eine endlos scheinende hässliche Fassade: den zerbombten Nordbahnhof. Er wurde gesprengt, schöner ist die Gegend dadurch nicht geworden.

Ja, da fährt der 106er die Arbeiter frühmorgens zu den Fabriken neben dem Donaukanal. Tagsüber reichte ein Triebwagen mit offenem Ein- und Ausstieg, in Spitzenzeiten aber hingen die Passagiere in Trauben an den drei Waggons. Dennoch: Auch hier tragen zwei Herrschaften Krawatte. So vornehm war der Schüler in seinem grauen Walkjanker zwar nicht, wenn er im 38er der Realschule zustrebte, aber auf dem Trittbrett stehen, auf den Puffern zwischen den hölzernen Waggons turnen – das konnten wir genauso gut.

Wer zählt die Fahrten der „Presse“-Redakteure mit dem D-Wagen zwischen Innenstadt und Heiligenstädter „Pressehaus“ bis zum Jahr 1986! An die vierzig Minuten konnte das schon dauern. In den Sechzigerjahren gab es noch die offenen Waggons, deren Inneres mit einer Schiebetür abgetrennt war. „Weitergehen ins Wageninnere, net stehen bleiben auf der Plattform“, rief der Kondukteur und riss mit dem Lederband die Klingel an, die dem Fahrer an der Kurbel signalisierte, dass nun die komplizierte Um-, Aus- und Einsteigprozedur glücklich beendet sei: „Abfahrt! Fahrscheine bitte!“

Bitte sehr.

Peter Wegenstein „Wege aus Eisen in den Straßen von Wien“
Peter Wegenstein „Wege aus Eisen in den Straßen von Wien“Edition Winkler-Hermaden

Peter Wegenstein
„Wege aus Eisen in den Straßen von Wien“
Edition Winkler-Hermaden
124 Seiten
19,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2020)

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