Kalender der Epidemien

Welchen Rhythmen folgt die Coronapandemie?

Der Kalender der Astronomischen Uhr am Rathaus in Prag sollte zeigen, wem wann die Stunde schlägt.
Der Kalender der Astronomischen Uhr am Rathaus in Prag sollte zeigen, wem wann die Stunde schlägt.(c) Jan Richter / Visum / picturedesk.com
  • Drucken

Viele Epidemien kommen – und gehen – saisonal. Bei Covid-19 sieht es nicht danach aus. Aber auch sonst sind die Rhythmen rätselhaft.

Wenn es einmal einen Impfstoff gegen Covid-19 bzw. das verursachende Coronavirus gibt, dann wird seine Wirksamkeit möglicherweise auch davon abhängen, wann er verabreicht wird: zu welcher Tageszeit. So ist das zumindest bei der Grippeimpfung, am Morgen schlägt sie besser an, Anne Philipps Birmingham hat es 2017 (!) bemerkt (Vaccine 34, S. 2679). Dies reihte sich ein in ebenfalls spät wachsende Einsichten in Einflüsse der Tageszeiten auf anderes Ergehen: Wer vor Gericht steht, darf gleich in der Früh und dann wieder nach der Mittagspause eher auf Milde hoffen (Pnas 108, S. 6889), und wer vom Arzt ein Antibiotikum will, obwohl er nur einen Schupfen hat, dessen Chancen steigen gegen Ende der Ordinationszeit, dann erlahmt die Widerstandskraft der Ärzte (Jama International Medicine 174, S. 2029).

All das liegt an der Vielzahl der inneren Uhren – circadian clocks –, die uns ungefähr den Tagestakt schlagen, überall im Körper, koordiniert von einer zentralen Uhr im Gehirn, die ihrerseits nach dem Tageslicht justiert wird, und zwar über besondere Zellen in den Augen bzw. die von ihnen im Dunkel der Nacht veranlasste Ausschüttung des Neurotransmitters Melatonin im Gehirn. Das informiert nicht nur über den Stand des Tags, sondern auch über die Jahreszeiten mit ihren verschieden langen Nächten. Und so wie die Grippeimpfung am Morgen am besten wirkt, könnte ihr Erfolg auch an der Saison hängen.

Darauf deutet eine rare und angejahrte Studie aus Leningrad (Journal of Hygiene, Epidemiology, Microbiology and Immunology 21, S. 155), gesichert ist wenig über die großen Rhythmen des Immunsystems. Gesichert ist auch wenig über die der Krankheitserreger, mit denen wir es das Jahr über zu tun bekommen. Zwar wusste schon die Heilkunst der Antike, dass bestimmte Leiden zu bestimmten Zeiten kommen (und gehen), und ab 1703 zeigte sich auch – in der Sterbestatistik von London – ein erstes Muster, bei Masern, sie häuften sich alle zwei Jahre. Aber für die Jahreszeiten blieb die Medizin lang so blind wie für die Tageszeiten, die erste systematische und bis heute richtungsweisende Publikation kam 2001 von Scott Dowell (Emerging Infectious Diseases 7, S. 369), damals arbeitete er beim US-Seuchendienst CDC, heute ist er Chef der Impfstoffforschung der Stiftung von Bill und Melinda Gates.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.