Neues Album

Musikalische Samtpfote mit Serotoninmangel

Frank Ockenfels
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Phoebe Bridgers' Melodien sind so sanft wie ihre Texte giftig. Nun legt die Singer-Songwriterin aus L. A. mit „Punisher“ ein geheimnisvolles Album vor.

Ihre helle, zuweilen ins Liebliche ausbrechende Stimme ist der perfekte Kontrapunkt zu ihren düsteren Gedanken, die sie mit viel Liebe zum Detail ausbreitet. In Spurenelementen kommt auch grimmiger Humor hinzu. Als Teenager war sie Fan des früh aus dem Leben geschiedenen Sängers Elliott Smith. Zudem spielte sie Bass in einer Punkband. Jetzt, mit 25 Jahren, ist Phoebe Bridgers eine der interessantesten, weil vielschichtigsten US-Künstlerinnen. Ihr zweites Album, „Punisher“, bestätigt die Begeisterung, die Bridgers für ihr Debüt von 2017 zuteil wurde. „Stranger in the Alps“ lautete dessen Titel. Darauf inszenierte sie ihre Entfremdung von dem, was man gemeinhin Realität nennt. Das tut sie auch in ihren neuen Liedern.

Eine Mädchenband namens Boygenius

Ins Studio ging sie wieder mit den gleichen Musikern. Nur der Prozess des Songwriting fiel ihr diesmal nicht so leicht. Zum einen, weil es sich um das schwierige zweite Album handelte. Zum anderen, weil sie zuletzt ausgiebig mit Kollegen kreativ war. 2018 gründete sie mit den Musikerinnen Lucy Dacus und Julien Baker eine Mädchenband, die sich sarkastisch Boygenius nannte. Ein Jahr später kollaborierte sie mit dem 15 Jahre älteren Conor Oberst, Chef der Erfolgskombo Bright Eyes, unter dem Namen Better Oblivion Community Center. Beides waren gute Projekte, aber solo ist Bridgers, auch wenn sie dafür leiden muss, besser.

Ätherisch, aber mit viel Gift

Mit einem seltsam verschliffenen Instrumental namens „DVD Menu“ beginnt ihr Opus. Es folgt „Garden Song“, eine Ballade, wie sie typisch ist für Bridgers. Diese verstörende Teenagerhymne ist nur von der Anmutung her ätherisch. Inhaltlich ist da viel Gift. Und schöne Zeilen wie „And when I grow up I'm gonna look up from my phone and see my life. And it's gonna be just like my recurring dream.“ Auch die von Banjo und Fiedel angetriebene Ballade „Graceland Too“ könnte autobiografisch sein.

Mit glockenheller Stimme deutet Bridgers ihre Unrast in dritter Person an. „She can do anything she wants to do, she can go home, but she's not going to.“ Ihre Schritte lenkt die Protagonistin nach Memphis. „Turns up the music so thoughts don't intrude, predictably winds up thinking of Elvis and wonders if he believed songs could come true.“ Ja, Lieder sind seltsame Wesen. Einmal geschrieben und in die Welt geschickt, beginnen sie ein Eigenleben, das für Urheber durchaus verstörend sein kann. In „Kyoto“, dem einzigen flotten Lied des Albums, verarbeitet Bridgers jene paradoxe Erfahrung, dass starker Jubel zuweilen größte Selbstzweifel auslöst.

Stehlen, was geht

Als ihr Credo bezeichnet sie, von so vielen Kollegen zu stehlen, wie nur möglich. Zur Illustration erwähnte sie in einem Interview eine Stelle in ihrem Song „Punisher“, wo ein „Rebel without a clue“ vorkommt. Eine Figur, die zuvor schon Tom Petty von den Replacements (für „I'll Be You“) entlehnt hat. „I'm just stealing it again“, sagt sie keck. Freilich haben ihre Texte genug eigene Statur. Bridgers ist eine Spezialistin darin, Vorgänge der Auflösung poetisch zu erhöhen. „Master of Collapse“ wird sie deshalb genannt. Zu ihren schönsten Beschreibungen zäher Langweile zählt eine Sequenz aus „Graceland Too“: „So we spent what was left of our serotonin to chew on our cheeks and stare at the moon.“

Während ihre Punchlines oft direkt auf die Magengrube abzielen, schweben ihre Melodien in rätselhafter Schwerelosigkeit. Gern tändelt sie auch mit Popreferenzen. Ohne Eric Clapton beim Namen zu nennen, singt sie in „Moon Song“ über ihre Verachtung für dessen Schnulze „Tears in Heaven“, die er schrieb, als sein Sohn starb. Empathie und Hass sind für Bridgers kein Widerspruch. Und so singt sie: „We hate ,Tears in Heaven‘, but it's sad, that his baby died.“ Die dunkle Wolke der Melancholie hängt in den meisten ihrer Lieder tief. Was umso erstaunlicher ist, weil sie im sonnensatten Los Angeles aufgewachsen ist. Das Düstere ist wohl ihr exotischer Sehnsuchtsort, ihr künstliches Paradies, das sie zum Träumen bringt. Für geheimnisvolle Zeilen wie  “What if I told you, I feel like I know you, but we never met.” muß man sie einfach lieben.

Phoebe Bridgers: „Punisher“ (Dead Oceans)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2020)

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