Corona

„Es wird zu einer psychischen Pandemie kommen“

Nicolas Armer
  • Drucken

Kinderschützer warnen vor den psychischen Corona-Folgen für Kinder, die verzögert auftreten werden.

Es sind dramatische Worte, die der Kinder- und Jugendpsychiater Christian Kienbacher am Dienstag wählte: „Es wird zu einer psychischen Pandemie kommen!“ Mit diesem Satz bezog sich Kienbacher darauf, dass gewisse psychische Folgen der Corona-Pandemie „erst in den nächsten Wochen“ bei Kindern sichtbar werden. Nachsatz: „Dann aber mit aller Härte.“

Jeder vierte Erwachsene und jedes dritte Kind sei von einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffen, erklärte Kienbacher während einer Medienkonferenz der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendrechte. Dazu wurden zwei Studien zitiert. Beide kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach zeigt sich eine signifikante Erhöhung der Depressions- und Angstsymptomatik. Die Daten basieren auf einer Selbsteinschätzung der Befragten. „Darauf, was auf uns noch zukommt, müssen wir vorbereitet sein“, forderte Kienbacher.

Betroffenheit, Stress hoch

Auffällig: In der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen zeigt sich eine hohe psychische Betroffenheit durch die Corona-Folgen. Und bei einer Befragung in Tirol wurde nicht nur eine hohe Übereinstimmung mit den anderen beiden Studien gemessen, sondern auch die Stressbelastung. Hier wurden in der Gruppe der 15- bis 25-Jährigen erhöhte Stresswerte registriert (wie auch bei den Über-60-Jährigen). Wobei die ältere Bevölkerungsgruppe laut der Tiroler Studie mehr Resilienz aufwies.
In diesem Zusammenhang kritisierte Caroline Culen, Geschäftsführerin der Liga: Während der Corona-Pandemie sei über Kinder nur als Belastung (Betreuungspflichten) oder als Gefährder („Superspreader“) gesprochen worden. „Aber niemals über die Bedürfnisse der Kinder in der Krise. Und das ist bei den Kindern angekommen.“ Denn Kinder hätten in der Krise oft den direkten Austausch mit anderen Kindern verloren – was Erwachsene so nicht kompensieren könnten.

Überforderte Eltern

Ein Problem sind auch Eltern, die mit homeoffice und gleichzeitiger Kinderbetreuung überfordert sind. Hier fordert Hedwig Wölfl von der Kinderschutzorganisation „Die Möwe“, dass die Betreuung von Kindern als „systemkritisch“ eingestuft wird – die Eltern in Krisenzeiten also von der Arbeit freigestellt werden sollen. Gleichzeitig ortete sie einen „signifikanten Anstieg von Missbrauch und den Austausch von Kinderpornografie“. Wobei Wölfl bezüglich der Corona-Folgen von einem Stadt-Land-Gefälle auch bei Kindern sprach: „Am Land hatten Kinder während der Ausgangsbeschränkungen oft die Möglichkeit, in einen Garten zu gehen.“

Kritik an Politik

Harsche Kritik üben die Kinderschutzvereine an der Politik. „Kinder sind die Zukunft“, würden Politiker sagen: „Oft lässt die Politik Kinder aber zurück – das hat nicht nur die Coronakrise gezeigt.“ Beispielsweise sei jedes fünfte Kind in Österreich von Armut bedroht: „Und Kinder, also 25 Prozent der Bevölkerung, haben keine repräsentative Vertretung in der Politik. Aus diesem Grund haben die Kinderschutzorganisationen der Politik einen Forderungskatalog vorgelegt.

Die Kernpunkte: Bessere Unterstützung von Kindern aus sozial schwachen Familien bzw. von Kindern, die von Krankheit und Behinderung betroffen sind – auch außerhalb von Krisenzeiten. Dazu gehören Aufstockungen im Gesundheitsbereich. Denn laut Liga fehlen rund 80.000 kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Dazu sollen Direktförderungen zum Lebensunterhalt von Kindern ausgebaut werden. Immerhin leben in Österreich rund 300.000 Kinder in Armut oder sind akut armutsgefährdet. Wichtig ist den Kindervereinen noch Partizipation von Kindern und Aufwertung der Berufsgruppen im Kinder- und Jugendgesundheitsbereich. (stu)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.