Juliputsch 1934: Dilettanten auf beiden Seiten

Mord an Dollfuß: Der Polit-Krimi, geschildert in romanhafter Form.

Die Aktion erschien kinderleicht: 150 Mann der Wiener SS-Standarte 89 sollten im Juli 1934 als Bundesheersoldaten verkleidet das Bundeskanzleramt stürmen. Dann – so sahen es die Besprechungen der führenden österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juni (in Zürich), am 6. Juli (in Breslau) und am 15. Juli (in München) vor – werde man die gesamte Regierung gefangen nehmen, den Rücktritt des christlichsozialen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß erzwingen und eine nationalsozialistisch gesinnte Regierung unter Anton Rintelen einsetzen. Gleichzeitig sei die Wiener Rundfunkanstalt zu besetzen und in Kärnten Bundespräsident Wilhelm Miklas an seinem Urlaubsort zu verhaften.

Der Umsturzplan erschien leicht durchführbar, dennoch endete die Sache im Desaster. Der 2019 verstorbene Historiker Friedrich Fritz hat diesen bekannten Polit-Krimi in romanhafter Form nachgezeichnet, sein Buch ist punktgenau zum Jahrestag erschienen.

Am 23. Juli trafen die Unterführer der Aktion einander zum letzten Mal, und zwar in der Hütte des Rudersportvereins im Klosterneuburger Strandbad: Franz Holzweber, Otto Planetta, Johann Domes. Alle drei waren sie Unteroffiziere des Bundesheers, die man im Juni 1933 wegen ihrer NS-Gesinnung entlassen hatte. Seitdem waren sie arbeitslos, aber keineswegs untätig. Heeresuniformen mussten herbeigeschafft, Gewehre, Munition, Mittäter angeworben werden.

Am 25. Juli 1934 ist es dann so weit. Pannen über Pannen vereiteln den Putschversuch, die Vorgänge im Kanzleramt sind bekannt. Dollfuß ist durch einen Schuss aus Planettas Pistole tödlich getroffen, es war ein Versehen, ein Unfall, wie der Täter bis zu seiner Hinrichtung beteuern wird. Diese These bestätigte schon vor zwei Jahren der Historiker Kurt Bauer anhand neuer Quellen. „Offiziell hätte es Neuwahlen geben sollen, Schlüsselministerien wie das Innenministerium sollten von Nationalsozialisten besetzt werden“, schreibt Bauer. Der tödliche Schuss habe sich wahrscheinlich unabsichtlich gelöst, als sich Dollfuß wehrte oder an den Putschisten vorbeidrängen wollte. Darauf deuten nicht nur Zeugenaussagen, sondern auch die Art der Schüsse selbst hin. „Nachträglich wurde da viel geschönt und vertuscht“, meint Bauer. Aber er ist – genau wie Friedrich Fritz – ratlos, wer den zweiten Schuss auf Dollfuß abgefeuert haben könnte. Das bleibt bis dato ein Rätsel. Holzweber war es nicht.

Am späten Nachmittag des 31. Juli 1934 standen im Innenhof des Wiener Landesgerichts die beiden Würgegalgen bereit. Das Militärgericht hatte gegen Mittag die Urteile gefällt, Holzweber wurde zuerst vom Henker hochgezogen, während zwei Helfer die Beine festhielten. Planetta musste zusehen. Der Katholik hatte davor die Kommunion von Rektor Köck empfangen und immer wieder beteuert, alles sei nur ein Unfall gewesen. Mit dem Hitlergruß verabschiedete sich Planetta von allem Irdischen.

Was im Juli 1934 geschah, grenzt ans Unglaubliche. Man wundert sich, wie sorglos die Minister und der Kanzler angesichts der drohenden Gefahr agierten, aber auch, wie dilettantisch die Putschisten vorgingen. Allein die Verschiebung um einen Tag, die überhastete Abfahrt von der Bundesturnhalle in der Siebensterngasse, das Vergessen der Munition – eine Kette von Fehlern, die ausgebildeten Soldaten eigentlich ein miserables Zeugnis ausstellt.

Friedrich Fritz
Sommerverschwörung
Johannes Martinek Verlag
106 Seiten

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2020)

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