Jazz

Jimmy Heath: Zum Abschied eine letzte blaue Stunde

Verve
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Spätabendliche Stimmung herrscht auf dem Balladenalbum „Love Letter“, dem eleganten musikalischen Testament des heuer 93-jährig gestorbenen Saxofonisten, den sie Little Bird nannten.

Man nannte ihn Little Bird: Der heuer im Jänner 93-jährig verstorbene Jazzer Jimmy Heath konnte seinem Saxofon ähnlich schnelle Riffs entlocken wie Charlie Parker vulgo Bird. Songwriter Tom Waits meinte einmal zu mir, dass alle, die den Zusatz Little oder Big im Namen tragen, prinzipiell super seien. Eine exzentrische Ansicht, aber Big Maybelle, Little Jimmy Scott und Little Giant (Bebop-Saxofonist Jimmy Griffin) sprechen dafür. Little Bird blieb nicht beim Bebop stehen. Nach rasanten Jahren am Altsaxofon verlegte er sich aufs Tenorsaxofon und den Hardbop.

Sein postum erschienenes Balladenalbum „Love Letter“ tönt samten. Als Testament ist es ideal, weil der alte Mann nochmals zu einigen Stationen seiner Jugend zurückkehrte. Mit „Con Alma“ ist ein Stück von Dizzy Gillespie drauf, das Heath einst hitzig mit ihm live gespielt hat. Nun reflektiert „Con Alma“ (portugiesisch: mit Seele) sanfte Gefühle abseits hormoneller Zwänge. Monte Crofts Vibrafon kühlt Heaths Saxofonmotive angenehm ab. Zwei Lieder von Billie Holiday interpretiert Heaths Ensemble, dem u. a. Pianist Kenny Barron und Trompeter Wynton Marsalis angehören, trefflich. „Don't Explain“, das Holiday selbst getextet hat, handelt von der Untreue. „Take a bath, man, don't explain“, sang Holiday. Hier charmiert es es als elegantes Instrumental, bei dem sich Klavier und Tenorsaxofon effektvoll abwechseln.

Die Noten vergessen

Das andere Holiday-Stück ist „Left Alone“, komponiert von Mal Waldron, ihrem letzten Pianisten. Aufgenommen hat es Holiday leider nie, weil sie immer wieder die Noten zu Hause vergaß, doch Waldron veröffentlichte es mehrmals, u. a. in einer kraftvollen Version mit Archie Shepp. Heath bevorzugt den seidigen Zugang. Zögerliche Gitarrenklänge, gehauchtes Saxofon und die mädchenhafte Stimme von Cécile McLorin-Salvant, die den Text leicht verändert. Trotzdem bleibt sie im Lied eine Sehnende, die in der Liebe mehr will, als sie bekommen kann. Ein Wunder, dass sie es überhaupt interpretiert hat, sie empfinde Holidays Kunst als zu niederschmetternd, sagte sie einmal. Freilich intoniert sie makellos, klingt aber mehr nach Sarah Vaughan als nach Billie Holiday.

Ein weiteres Highlight ist „Don't Misunderstand“ aus dem Soundtrack von „Shaft“. Gregory Porter brummelt mit viel Wärme dieses vorsichtige Sehnsuchtslied. „Don't misunderstand me, you are no concern of mine, but in case you're free sometime . . .“ Heath holt tief Luft und verwandelt sie in in romantische Vibration. Die Idee der Liebe spielte offenbar bis zuletzt eine Rolle in seinem Leben. Was für ein schöner Ausklang!

Jimmy Heath: Love Letter (Verve)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2020)

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