Das feine Gehör der Grille

feine Gehoer Grille
feine Gehoer Grille(c) AP
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Je komplexer die Umwelt, umso feiner sind die Sinnesorgane eingestellt: Was stört, wird in der Natur einfach weggefiltert.

Was war das doch für eine Diskussion um die Vuvuzela-Tröten bei der Fußball-WM. Der ORF und andere Sender schafften es nach einigen Tagen, den summenden Dauerton in der Liveübertragung herauszufiltern, sodass man die Stimme des Moderators gut hören konnte. „Die Filter der Fernsehsender funktionieren auf digitaler Basis. In der Natur läuft aber nichts digital, sondern analog. Wir haben bei Grillen herausgefunden, dass sie analoge Filter einsetzen, um störende Hintergrundgeräusche wegzufiltern“, erklärt Heiner Römer, Zoologe an der Uni Graz. Im Fokus der Forschungen standen Grillen aus dem tropischen Regenwald in Panama im Vergleich zu der hierzulande vorkommenden Feldgrille Gryllus campestris. Jeder, der in Österreich über Felder spaziert, kennt ihren Klang: Ihr Gesang ist praktisch konkurrenzlos im Frequenzbereich von etwa 5000 Hertz – das ist der männliche Lockgesang.

Anders in den Tropen: Bis zu 40 der dort vorkommenden Arten singen nachts gleichzeitig, zudem ist der Geräuschpegel von anderen singenden, zirpenden, quakenden und schreienden Tieren im Regenwald mit bis zu 70Dezibel sehr hoch. Wie können sich die einzelnen Grillenarten verständigen? Immerhin steckt im Gezirpe Information über den Aufenthaltsort der Geschlechtspartner und eventueller Rivalen. Messungen aus Römers Arbeitsgruppe zeigten, dass die Sendefrequenzen der Grillenarten nur um wenige 100 Hertz auseinander liegen – kein Problem bei technischen Systemen im Radio oder Fernsehen mit engen digitalen Filtern. Aber der nächtliche „Schallwellensalat“ könnte für Grillen klingen, als empfinge man drei, vier Radiosender gleichzeitig.


Breitband-Tuning. „Unsere Hypothese war, dass die Empfänger eine schärfere Frequenzabstimmung (Tuning) besitzen sollten, je mehr Konkurrenz von anderen Arten im gleichen Habitat lebt“, erläutert Römer. Tatsächlich zeigte der Vergleich der Grillen aus dem tropischen Habitat und der Feldgrille aus der Steiermark, dass die Hörorgane und das Nervensystem der tropischen Grillen speziell auf den engeren Frequenzbereich der eigenen Art abgestimmt sind, während Feldgrillen ein „Breitband-Tuning“ haben.

So wird bei tropischen Grillen das Hintergrundgeräusch bis zu 30 Dezibel gedämpft, heimische Grillen „drehen“ die störenden Nebengeräusche nur um zehn dB „herunter“. „Das zeigt, dass in der Evolution durch Konkurrenz verschiedener Arten eine Anpassung der Hörfilter stattfindet.“ Derzeit basteln die Grazer Forscher an einer „Robotergrille“, der die verschiedenen Schallfilter, die man bei heimischen bzw. tropischen Grillen gefunden hat, eingebaut werden. Dann wird es spannend, wie diese Roboter eine Schallquelle unter den Lärmbedingungen des Regenwaldes bzw. eines heimischen Feldes finden können.

Die Ohren der Grillen sitzen übrigens an den Vorderbeinen, etwa im „Schienbein“-Bereich (Tibia). Dort liegt eine trommelfellähnliche Haut im harten Chitinpanzer – auch bei Heuschrecken ist es so.

Eine kleine, einheimische Art von Heuschrecken hat Römers Gruppe untersucht, um herauszufinden, wie diese Tiere ein anderes Problem lösen, nämlich das dreidimensionale Richtungshören. „Die Tiere leben in einem komplexen 3-D-Raum, wo es nicht nur wichtig ist zu unterscheiden, ob ein Schallsignal von rechts oder links kommt, sondern auch von oben oder unten“, sagt Römer. Zunächst bauten die Grazer ein Modell, bei dem die Heuschrecken von allen drei Seiten beschallt werden konnten und sich ihren Weg zur attraktiven Schallquelle (Ton eines Weibchens, das auf Balzrufe reagiert) aussuchen konnten. Dieses „Labyrinth“ kann man sich wie das Atomium in Brüssel vorstellen – an jeder Kreuzung musste das Tier entscheiden, geht es rechts, links, rauf oder runter.


Hören in 3-D. Und tatsächlich: Die kleinen Insekten trafen an den Kreuzungen fast immer die richtige Entscheidung und wählten den Weg, der direkt zur Schallquelle führte. Bei Säugetieren übernimmt die Ohrmuschel die Funktion, Schallsignale von oben anders ans Trommelfell zu leiten als solche von unten. Das ermöglicht Menschen und anderen Säugern ein gutes „3-D-Richtungshören“.

„Da Heuschrecken keine Ohrmuschel haben, war nicht klar, wie sie es schaffen, oben von unten zu unterscheiden.“ Also nahm man die „Ohren“ der Tiere genauer unter die Lupe: Eine Schlauchstruktur im Chitinpanzer des Brustbereichs, die ursprünglich zum Atmen da war (Trachea), lenkt den Schall über eine Öffnung direkt an die Innenseite des Trommelfells im Heuschreckenbein: „An dieser Öffnung kommt es zu einer komplizierten Beugung des Schallsignals. Und darin steckt die Information, ob das Signal von oben, unten oder horizontal kommt.“ Allerdings ist manchmal die Information, woher der Schall kommt, nicht eindeutig. Was tun wir Ohrmuschelbesitzer unter solchen Bedingungen? Wir „scannen“ unsere Umgebung ab, drehen den Kopf in verschiedene Richtungen oder halten eine Hand ans Ohr.


Grille macht Verrenkungen. „Wir haben bei diesen Heuschrecken etwas Spektakuläres entdeckt: Auch sie ändern ihr Verhalten und ihren Körper, um eindeutige Informationen über die Schallrichtung zu erhalten“, beschreibt Römer: „Aber da die Ohren nicht am Kopf liegen, machen sie kuriose Körperbewegungen, drehen sich von einer Seite auf die andere und buckeln mit dem Vorderkörper.“ So verändern sie aktiv die Information über die Schallrichtung und können genau erkennen, ob sie weiter nach oben oder nach unten laufen sollen, um dem begehrten Weibchen näherzukommen. „Das physikalisch delikate Problem des Richtungshörens haben diese kleinen Insekten auf geniale Art gelöst“, sagt Römer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2010)

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