Kulturwissenschaft: Kollision der Köpfe

Kulturwissenschaft Kollision Koepfe
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Einen differenzierteren Versuch, Licht in das Dunkel der Denkwerkstätten zu bringen, bietet der Reader „Think Tanks.

„Oh, ein Thinktank! Darüber habe ich in der Zeitung gelesen. Das ist ein Ort voller Genies, oder? Sir, darf ich fragen, was Sie hier machen?“ Inspektor Columbos Aussage bringt die Wahrnehmung von Thinktanks auf den Punkt: Die sogenannten Denkfabriken umgibt seit je die Aura des Konspirativen, sie wecken den Verdacht, dass hinter verschlossenen Türen genialische – mitunter gefährliche – Denkspiele betrieben werden. Diese Sicht findet sich auch im wissenschaftlichen Diskurs: „By think tanks I mean the people who are paid to think by the makers of tanks“, formuliert Globalisierungskritikerin Naomi Klein polemisch und verweist damit auf Thinktanks als Agenturen politischer Einflussnahme. Hierfür macht sie die Mehrdeutigkeit des Begriffs „Thinktank“ produktiv: „Tank“ meint im Englischen sowohl „Behälter“ als auch „Panzer“.

Einen differenzierteren Versuch, Licht in das Dunkel der Denkwerkstätten zu bringen, bietet der Reader „Think Tanks. Die Beratung der Gesellschaft“. Die Herausgeber Thomas Brandstetter, Claus Pias und Sebastian Vehlken folgen nicht nur populärkulturellen Spuren, sondern versuchen, die Ursprünge von Beraterwissen detektivisch zu verorten. Vor reduktionistischen Lesarten wird zu Beginn gewarnt: Zwar seien Thinktanks im Kontext des Zweiten Weltkrieges entstanden, „zu behaupten, alle Thinktanks seien Panzer“, greife aber zu kurz und komme „in etwa dem Postulat gleich, alle Vegetarier seien Faschisten, weil Hitler Vegetarier war“, schreibt Michael Thompson, langjähriger Thinktank-Mitarbeiter.

Orte des Wissens

Im Zentrum des Sammelbands stehen ohnehin philosophischere Probleme: Thinktanks sollen „ganz wörtlich als besondere Verschaltungen von Wissen und Räumen“ verstanden werden. Sie seien „Orte des Wissens“, die durch ihre materielle Beschaffenheit ein spezifisches Denken hervorbringen. Unter dem Motto „Architektur arbeitet an unseren Gedanken mit“ werden etwa Ausstattung, Raumkonzeption und Kommunikationsstrategien der RAND-Corporation, eines prototypischen Thinktanks, analysiert. Es geht um den strukturellen Blick auf die „Kollision kluger Köpfe“ und ihre – im doppelten Wortsinn – „Denkgebäude“.

Daraus werden allgemeine Aussagen abgeleitet: Thinktanks seien als intellektuelle Spielstätten zu begreifen, in denen keine Entscheidungen getroffen, sondern höchstens vorbereitet werden. Die Denkfabriken würde permanent „Möglichkeitssinn stiften“, in Form von „Experimentalphilosophien“ „Virtualität“ schaffen, am extremsten im Kalten Krieg: In der Vorstellung der Folgen eines Atomkrieges verwischen die Grenzen zwischen „Science“ und „Fiction“. Apokalyptische Endzeitszenarien, die durch fiktive Todesziffern visualisiert werden, können nicht empirisch überprüft werden: „Es gibt keine Empirie des Möglichen.“

Weniger düster ist Thomas Machos Wissensgeschichte der Beratung: Orakel, Schamanen, Opferrituale. Auch Philosophie, in ihr zeigte sich das Risiko der Berater: Platon, der den Tyrannen von Syrakus (erfolglos) beraten hatte, wurde als Sklave zum Verkauf angeboten. So plastisch bekommt der Leser die Institution Thinktank nicht immer geboten, die Beiträge bleiben oft abstrakt.

„Thinktanks. Die Beratung der Gesellschaft.“ Hrsg. v. Thomas Brandstetter, Claus Pias und Sebastian Vehlken. diaphanes, Zürich/Berlin, 2010, 128 S.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2010)

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