Dürre rafft die russische Getreideernte dahin

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Die größte Hitzewelle seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gefährdet Russlands Status als Exporteur.

Moskau. Die größte Hitzewelle seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Russland zieht nicht nur eine verheerende Brandkatastrophe nach sich. Mit jedem Tag wird offensichtlicher, dass auch die landwirtschaftliche Ernte zerstört ist, wie kaum jemals zuvor. „Einen wetterbedingten Ernteausfall in diesem Ausmaß hat Russland noch nicht gesehen“, sagt Dmitrij Rylko, Generaldirektor des Instituts für Agrarmarktkonjunktur. Und auch die Produzenten sind sich einig. „Solche Katastrophen passieren vielleicht ein Mal innerhalb von 40 oder 50 Jahren“, erzählt Igor Suvorov, Vizegeneraldirektor von „Ekoniva“, einem der größten Agrarproduzenten Russlands.

Ein Viertel weniger Weizen

Nach über einem Monat ununterbrochener Hitze im Bereich von bis zu 40 Grad und ausbleibenden Niederschlägen steht fest: Die Getreideernte wird 2010 um 20 bis 25 Prozent geringer ausfallen als 2009. Wurden im Vorjahr 97 Mio. Tonnen geerntet, so werden es heuer Schätzungen zufolge 72 bis 75 Mio. Tonnen sein. Zwar ist die Versorgung im Inland nicht gefährdet, zumal 9,5 Mio. Tonnen in Vorratsspeichern lagern und wohl beizeiten auf den Markt geworfen werden. Auf die Probe gestellt wird jedoch der Getreideexport.

Ein schwerer Schlag für Russland, hat sich das Land doch zuletzt zu einem der größten Exportländer aufgeschwungen und gilt mittlerweile als drittgrößter Weizen-Exporteur nach den USA und Kanada. 2009 exportierte Russland 22 Mio. Tonnen Getreide, davon 18 Mio. Tonnen Weizen. In 15 Jahren sollte ein Jahresvolumen von 45 Mio. Tonnen erreicht werden, so die staatlichen Zielvorgaben. Heuer dürften pessimistischen Prognosen zufolge gerade einmal acht Mio. Tonnen ins Ausland verkauft werden. Optimisten wie Wladimir Petritschenko, Experte beim Agrarberater „Prozerno“, hoffen auf rund 14 Mio. Tonnen.

Die russische Erntekatastrophe hat den Weltmarkt längst getroffen. Experten verbinden den um ein Drittel gestiegenen Getreidepreis sei Anfang Juli vor allem mit der Situation in Russland. Aber auch die stark abgefallene Produktion in Kasachstan und Gerüchte über Exportbeschränkungen aus der Ukraine treiben die Preise. „Ich denke aber, dass die Preise etwas zu stark gestiegen sind“, sagt Amy Reynolds, Chefökonom beim International Grains Council zu Reuters. Dass Russland gar Exportbeschränkungen plant, glaubt man in der Branche nicht. Zu sehr sei es auf das Image eines Exporteurs bedacht und habe Angst, Abnehmer zu verlieren.

Ruf nach Eingriff in den Markt

„Schon der trockene Herbst 2009 hat eine schlechte Ernte befürchten lassen“, sagt Suvorov. „Das Frühjahr hingegen hat die Bedenken zerstreut. Aber dann blieb der Regen aus, und die Hitze kam.“ Vor allem die ansonsten äußerst fruchtbaren Schwarzerdeböden in Westrussland sind betroffen, während etwa die südlichere Schwarzmeerregion Krasnodar und Stavropol sowie Westsibirien, wo die Ernte erst beginnt, weitgehend verschont blieben.

Längst häufen sich im Land daher die Vermutungen, dass jene Unternehmen aus der Schwarzmeerregion, die auch wegen einer höheren Aussaat eine überdurchschnittliche Ernte einfuhren, das Getreide in Erwartung noch höherer Preise zurückhalten. Immer lauter wird daher der Ruf nach einer Intervention aus den Vorratsspeichern. Beschlossen wurde sie noch nicht.

Suvorovs «Ekoniva» hat im Schwarzerdegebiet Voronesch eine Ernteeinbuße bei Weizen und Gerste von 50 bis 60 Prozent zu verkraften. Den Mut verliert er dennoch nicht. „Der hohe Preis kompensiert einiges“, erklärt Suvorov: „Die Lehre aber ist: Wir werden noch schneller zu einer schonenderen Bodenbearbeitung übergehen müssen. In Russland ist der Boden beim Pflügen ja traditionellerweise sehr tief bearbeitet worden, was kurz- und langfristig zu einer Austrocknung der Böden führt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2010)

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