Verhaltensbiologie

Spechte liefern sich Schlachten, ihre Artgenossen schauen zu

Sahas Barve
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Tagelang kämpfen Mannschaften von Eichelspechten um Futterspeicher. Aber warum zieht das Spektakel auch Zuschauer an?

Wer durch Amerikas Westen streift, kann seltsame Dinge erleben: Um eine Eiche, deren Rinde von hunderten Löchern durchbohrt ist, fliegen dutzende Spechte kreischend und völlig aufgebracht herum. Es herrscht Chaos. Nun haben kalifornische Biologen solche Eichelspechte mit Sendern versehen. So konnten sie deren Verhalten näher analysieren – und sind zu noch viel seltsameren Erkenntnissen gelangt (Current Biology, 7.9.).

Was man schon wusste: Die durchlöcherten Bäume sind Futterspeicher für karge Zeiten, in den Löchern sind Eicheln deponiert. Wenn die Besitzer sterben, bleibt die wertvolle Ressource nicht lange verwaist: Unter Spechten aus Nachbargebieten entbrennt ein Kampf um sie. Die Krieger sind immer „Helfer“: Jungspechte, die nicht brüten und hier eine Chance sehen, zu den sozial höhergestellten Brütern aufzusteigen.

Teams, Turniere – und Tote

Dabei raufen aber nicht (wie häufig unter Wirbeltieren) einzelne Tiere miteinander, sondern es ziehen (was es nur selten gibt) ganze Teams von je drei bis vier Tieren in die Schlacht. In den dokumentierten Auseinandersetzungen waren jeweils mehr als ein Dutzend Teams, also über 40 Vögel involviert. Bis sich eine Mini-Armee rekrutiert hat und sie ihre Stunde gekommen sieht, dauert es oft Jahre. An einer Schlacht nehmen entweder nur Männchen oder nur Weibchen teil, wie bei sportlichen Wettkämpfen der Spezies Homo Sapiens. Das Turnier ist erst dann zu Ende, wenn eine Mannschaft alle anderen besiegt hat.

Was mehrere Tage dauern kann, wobei die Kämpfer jeden Morgen aus ihrem oft kilometerweit entfernten Territorium anrücken und dann bis zu zehn Stunden lang kämpfen. Es bleibt nicht bei Drohgebärden, wie Kriegsgeschrei und weit ausgebreiteten Flügeln. Die Vögel gehen brutal aufeinander los, manche Zweikämpfe enden tödlich. Dafür gewinnt das siegreiche Team nicht nur den Baum mit dem Eichelschatz, sondern auch das ganze Territorium ringsum, in dem es fortan gemeinsam brütet.

Wie im Stadion?

Der seltsamste Aspekt aber ist ein anderer: Es gibt Artgenossen als Zuschauer. In den analysierten Fällen waren es nicht die Eltern oder sonstige „Fans“ aus den eigenen Reihen, sondern Mitglieder anderer Populationen, die von noch weiter anreisten (und dabei ihre Brut unbeaufsichtigt ließen).

Bis zu eine Stunde lang schauten sie dem Treiben neugierig zu, dann flogen sie nach Hause und kamen am nächsten Tag wieder. Das erinnert uns natürlich stark an menschliches Verhalten, an „Brot und Spiele“ im alten Rom oder heutige Sportevents. Die Motivationslage dürfte aber doch eine andere sein: Eichelspechte machen gerne Beutezüge in benachbarte Gebiete – und tun gut daran zu wissen, wer dort etwas zu sagen hat und wie sich die Hierarchien verändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2020)

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