Plattenkritik

Soul aus Berlin beim legendären Motown-Label

Geboren 1973 in Berlin-Schöneberg, aufgewachsen in Kreuzberg: Soulsängerin Joy Denalane.
Geboren 1973 in Berlin-Schöneberg, aufgewachsen in Kreuzberg: Soulsängerin Joy Denalane.
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Zum ersten Mal singt Joy Denalane auf Englisch: Dem Vintage-Sound ihres neuen Albums „Let Yourself Be Loved“ hört man auch an, dass es in der ehemaligen Disco-Metropole aufgenommen wurde.
 
 

Es mag nicht mehr wahnsinnig viel bedeuten, wenn eine deutsche Soulsängerin ein Album auf Motown herausbringt. Das berühmte Detroiter Soul-Label, das sich bekanntlich in seiner Produktionsweise an den Fließbändern der Automobilindustrie orientierte, gehört ja seit 1988 nicht mehr seinem Gründer Berry Gordy. Seit damals ist es Teil des Konzerns Universal, wo man sich als Musiker die illustre Marke aussuchen kann, die jeweils zu einem passt. Egal, ob Motown, Mercury, Cadet Concept oder Polydor, all diese Sublabels versprechen vor allem Retrochic.

Joy Denalanes Album „Let Yourself Be Loved“ kann aber mehr – obwohl sich die Musiker durchaus an etablierten Formensprachen verblichener Soulstars wie Marvin Gaye und Johnny Bristol orientieren. Raffinierte Chöre, opulente Streicher, funky Basslinen, hier hört man alles, was in den späten Sixties und frühen Seventies en vogue war.

Rendezvous an der Befehlsausgabe

Etwa auf „The Ride“, dessen Anmutung an Gayes „What's Going On“ erinnert. Mit beinah rauer Stimme und ungekünstelter Ausdruckskraft führt Denalane einem Verehrer die Realität vor Augen: „Hey boy, you better watch your step. If you're coming with me, come on, I ain't really trying to settle down.“ Zwei Strophen weiter wird sie noch direkter: „Stop and ask for directions baby.“ Mit diesem Text hätte Gordy, der ja kurioserweise Marvin Gayes sozio-öko-politischen Meilenstein „What's Going On“ zuerst nicht veröffentlichen wollte, keine Freude gehabt. So hat es seinen durchaus Reiz, wenn Denalane ihre emanzipierten Lyrics in gut gebauten, an Motown-Girlgroups wie Martha & The Vandellas und die frühen Supremes erinnernden Liedern unterbringt.

Über weite Strecken intoniert Denalane recht rau. Das passt gut zu den feinsinnigen Arrangements von Roberto Di Gioia, der auch schon für The Notwist und Helge Schneider gearbeitet hat. Aufgenommen wurde hauptsächlich in München, das Klangbild erinnert auch an Zeiten, wo diese Stadt der Nabel der Disco-Welt war und selbst die Rolling Stones anlockte.

Inhaltlich ist „Let Yourself Be Loved“ strikt monothematisch. Es geht um die Liebe und deren Widersprüchlichkeiten. Diese auslotend, singt sich Denalane in die schönsten Wirbel. In „Wounded Love“ verrät sie Rezepte gegen Liebeskummer, in „Hey Dreamer“ zeichnet sie die Liebe als Traumgespinst. Besonders eindringlich: „Be Here In The Morning“, das sie mit dem Texaner C.S. Armstrong als Duett singt. Für das von einer glühenden Hammondorgel befeuerte „Stand“ hat sie drei New Yorker Burschen für brünftige „Huhs“ und „Hahs“ verpflichtet. Denalane ist eine detailversessene Künstlerin, die gern das letzte Wort hat. Und so schön ihr Vintage-Sound ist, man hört bei ihr – wie bei Michael Kiwanuka – jene Bitterstoffe, die sich in einem Leben als Dunkelhäutiger in einer weißen Mehrheitsgesellschaft so ansammeln. Dabei klingt sie souveräner und beseelter denn je zuvor.

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