Hochwassergeschichte

Der Klimawandel hat Europas Flusshochwässer verändert

APA/MANFRED FESL
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Die jüngsten Jahrzehnte gehören nicht nur zu den hochwasserreichsten Perioden in Europa, auch die Hochwassersaisonen haben sich verschoben. Überschwemmungen verhalten sich heute ganz anders als früher, das zeigt ein Vergleich von Aufzeichnungen aus 500 Jahren.

Dass der Klimawandel bei Hochwasser eine Rolle spielt, ging bereits aus früheren Studien hervor; doch wie ungewöhnlich die Flutkatastrophen der vergangenen Jahre im Vergleich mit den letzten Jahrhunderten sind, weiß man erst seit Kurzem. Im Fachjournal Nature wurde im Juli die Analyse von 500 Jahren europäischer Hochwassergeschichte publiziert, an der international 34 Forschungsgruppen beteiligt waren. Ermöglicht wurde dies nicht zuletzt durch einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) an den Hochwasserspezialisten Günter Blöschl von der Technischen Universität (TU) Wien, der das aufwendige Projekt mit diesen Mitteln initiiert und auch geleitet hat. „Was wir nun wissen, ist das Resultat von acht Jahren akribischer Arbeit“, sagt er. „Ohne langfristige Forschungsförderung ginge so etwas nicht.“

Für die Studie wurden Zehntausende historische Hochwasserberichte aus dem Zeitraum von 1500 bis 2016 ausgewertet. „Eine mühsame Kleinarbeit“, berichtet auch die Umwelthistorikerin Andrea Kiss von der TU Wien, neben Blöschl eine der Hauptautorinnen. „Die unterschiedlichen Texte aus den verschiedenen Jahrhunderten und Kulturregionen vergleichbar zu machen war eine Herausforderung.“ Neben der TU Wien waren zwei weitere österreichische Institutionen beteiligt: die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und die VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung Forschungs-GmbH.

Gefunden wurden neun hochwasserreiche Zeiträume, und zwar von 1560 bis 1580 in West- und Mitteleuropa, von 1760 bis 1800 im Großteil Europas, von 1840 bis 1870 in West- und Südeuropa und von 1990 bis 2016 in West- und Mitteleuropa. Aus Vergleichen mit Rekonstruktionen der damaligen Lufttemperatur geht hervor, dass die historischen Hochwasserperioden viel kühler waren als die Phasen dazwischen.

Genauere Daten, bessere Prognosen

„Unsere Studie zeigt erstmals, dass sich die zugrunde liegenden Mechanismen gewandelt haben“, unterstreicht Blöschl. „Während die Hochwässer früher vermehrt bei kühler Witterung auftraten, spielt heute Wärme die wesentliche Rolle.“ Auch die Jahreszeiten haben sich verschoben: „In Mitteleuropa ereigneten sich früher 41 Prozent der Überschwemmungen im Sommer, heute sind es 55 Prozent.“ Das hänge mit Veränderungen von Verdunstung, Schneeschmelze und Niederschlägen zusammen und weise auf den – von Faktoren wie Wälderabholzung oder Flussverbauung unabhängigen – Einfluss des Klimawandels hin.

Die neuen Erkenntnisse beruhen nicht nur auf den riesigen Datenmengen, sondern auch auf der viel größeren Genauigkeit der Datierung. „Wir mussten uns nicht auf ungefähre Befunde aus Bodenproben, Baumringen oder Sedimenten verlassen“, so Blöschl. Die Arbeit schaffe somit eine bessere Basis für die im Hochwassermanagement so essenziellen Zukunftsprognosen. „Da macht es einen Unterschied, ob es sich um echte Veränderungen handelt oder bloß um die Wiederholung von schon Dagewesenem.“

Generell bedinge der Wandel der europäischen Wettersysteme einen Trend zu verstärkten Überflutungen im Norden und Austrocknung im Süden. „In Österreich sind die Effekte nicht ganz so dramatisch wie in anderen Ländern, aber auch bei uns sehen wir nördlich des Alpenhauptkammes mehr Starkregen als südlich davon.“ Während sich also in gewissen Gegenden Hochwässer ausbreiten, werden sie anderswo weniger. „Die Überschwemmungen durch Schneeschmelze, beispielsweise in Osteuropa, werden geringer. Und die im 18. und 19. Jahrhundert gefürchteten Eisstoßhochwässer der Donau kennt heute fast niemand mehr, weil wir schon gut 50 Jahre keine mehr hatten.“

Die Kenntnis der Verschiebungen nütze der Bewertung des künftigen Hochwasserrisikos und dem Hochwasserschutz in Europa. „Ob man nun Dämme und Rückhaltebecken größer oder kleiner baut oder Siedlungen weiter weg verlegt, all das muss angemessen sein“, erklärt Blöschl. „Sonst greifen die Maßnahmen entweder zu kurz oder sie werden unökonomisch.“ Und obwohl Österreich in puncto Hochwassermanagement gut aufgestellt sei: „Den Klimawandel wird man weiter spüren.“

LEXIKON

Hochwasserrisiko setzt sich aus zwei Faktoren zusammen: der Größe der zur erwartenden Überflutungen und den Werten im betroffenen Gebiet wie etwa Häuser, Verkehrsinfrastruktur oder Landwirtschaft. Man geht davon aus, dass die weltweit aktuell auf über 100 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzten Schäden wachsen werden.

Hochwasserursachenforschung betrachtet die Gesamtheit der Prozesse, die das Wasser eines Flusses so stark ansteigen lassen, dass es über die Ufer tritt. Dazu zählen z. B. großräumige Niederschläge, lokaler Starkregen oder Schneeschmelze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2020)

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