Energieforschung

Die Stadt, in der Milch und heißes Wasser fließen . . .

Die NÖM-Molkerei heizt schon Räume mit der Abwasserwärme, aber es steckt mehr Potenzial drin.
Die NÖM-Molkerei heizt schon Räume mit der Abwasserwärme, aber es steckt mehr Potenzial drin. Mario Pampel
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Bei einer Molkerei in Baden entsteht rund um die Uhr warmes Abwasser, dessen thermische Energie derzeit noch nicht vollständig genutzt wird. Wiener Forschende beziehen diese Abwärme und erneuerbare Energien in eine Neugestaltung der Martinek-Kaserne ein.

Für das Gelände der aufgelassenen Martinek-Kaserne in Baden (NÖ) gab es schon viele Ideen für eine hinkünftige Nutzung. Liegenschaftseigentümer ist das österreichische Bundesheer, und dieses ist nun Projektbegleiter in einem Forschungsprojekt, das Szenarien entwickelt, wie man bei einer Umwidmung und Neugestaltung des Areals die Umwelt bestmöglich schont. Geleitet wird das Projekt „Sanba“, das Teil der NEFI (New Energy for Industry)-Vorzeigeregion ist, von Edith Haslinger am AIT Center for Energy. „Wir hatten 2013 ein Projekt in Baden und sind im Gespräch mit der Molkerei NÖM draufgekommen, dass das Unternehmen einen kontinuierlichen Abwasserstrom produziert, dessen Wärme man energetisch nutzen kann“, erzählt Haslinger.
Das warme Abwasser wird bereits zum Heizen der NÖM-Räumlichkeiten genutzt, aber die thermische Energie aus Verfahren wie Pasteurisieren etc. hat viel mehr Potenzial. Schnell entstand die Idee, die Abwärme aus den Industrieprozessen als Energiespender für Neugestaltungen der gegenüberliegenden Martinek-Kaserne zu nutzen.

Die AIT-Forscherinnen und -Forscher vereinten ein vielfältiges Konsortium und ziehen nun mit der Stadt Baden, Verteidigungsministerium, Geologischer Bundesanstalt, TU Wien, Montan-Uni Leoben und weiteren an einem Strang: Sie zeigen, wie die Martinek-Kaserne ein modernes Stadtquartier werden kann und zugleich so wenig CO2 wie möglich ausstößt.

„Wir entwickeln drei Szenarien, wie die Abwärme der Industrie und oberflächennahe Erdwärme in ein Wärme-Kälte-Netz eingespeist werden können, das dezentral das gesamte Areal versorgt“, sagt Haslinger. Im Szenario „Mini“ bleibt das denkmalgeschützte Areal der Kaserne so, wie es ist. Im Szenario „Midi“ werden zusätzlich zu den Gebäuden aus den 1930ern auch 50 Prozent der Freifläche bebaut, im Szenario „Maxi“ bis zu 80 Prozent. Bei der Ausarbeitung der Modelle sind Liegenschaftsentwickler und technische Büros involviert, die aus der Praxis wissen, was auf einem denkmalgeschützten Areal möglich ist. „Man kann kein hohes Hotel hinbauen, das die Sichtachse auf die Weinberge vollkommen verändert. Und bei den bestehenden Gebäuden kann man weder eine Dämmhülle noch Fotovoltaik auf dem Dach anbringen oder eine Fußbodenheizung einziehen“, führt Haslinger aus.

Nach langem Tüfteln gelang es dem Team, das Konzept praxistauglich auszuarbeiten: Mit realistischen Zahlen für die jeweiligen Leitungslängen und Temperaturniveaus in einem Wärme-Kälte-Netz. Das geplante „Anergienetz“ besteht aus Rohrleitungen, das Wasser mit relativ niedrigen Temperaturen (vier bis 30° C) zwischen den Gebäuden verteilt. Das Wasser kann zum direkten Kühlen oder Heizen verwendet werden, jeweils in Kombination mit Wärmepumpen (Geothermie). Dieses Netz soll dezentral funktionieren, also unabhängig vom Energienetz der Gemeinde. Jedes Gebäude ist nicht nur Energiekonsument, sondern zugleich Produzent: über Wärmepumpen und Solartechnik – bzw. die Abwärme der Molkerei.

Vorbild für andere historische Areale

Die Szenarien gehen auch auf die Gebäudetypen und ihre Energieverbrauch-Charakteristik ein. „Ein Wohnhaus hat ein anderes zeitliches Temperaturniveau als ein Bürogebäude, eine Schule oder ein Supermarkt“, sagt Haslinger. Die hier entworfenen Szenarien sollen nicht nur in Baden als Konzept für nachhaltige Raumplanung auf der 40 Hektar großen Kaserne dienen, sondern können auch für andere historische Bestandsareale verwendet werden.

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