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Nur Bill Murray kann schlechte Väter so spielen

Vater Felix (Bill Murray) schafft gegenüber seiner Tochter (gespielt von Rashida Jones) zwar nie den richtigen Ton – aber letztlich Nähe.
Vater Felix (Bill Murray) schafft gegenüber seiner Tochter (gespielt von Rashida Jones) zwar nie den richtigen Ton – aber letztlich Nähe.Apple TV+
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„On the Rocks“ von Sofia Coppola, eine wundervolle Parabel über eine Vater-Tochter-Beziehung, ähnelt im besten Sinn ihrem populärsten Werk „Lost in Translation“: Nicht zuletzt dank der einzigartigen Schauspielkunst von Bill Murray.

Eine wohlige Vertrautheit geht von diesem Film aus. Die ganzen kurzweiligen anderthalb Stunden, die er dauert, fühlt man sich in durchaus angenehmer Weise an einen anderen, ähnlichen Film erinnert. Da ist die Grundkonstellation eines älteren Mannes und einer jüngeren Frau, die sich für kurze Zeit zusammentun, um durch eine fremd erscheinende Außenwelt zu navigieren. Die melancholisch-depressive Stimmung, der beide Figuren mit unterschiedlichem Temperament Ausdruck verleihen. Der scharfe Blick der Regie für alltägliches Missgeschick und die kleinen menschlichen Peinlichkeiten. Und dann noch Bill Murray! Woran erinnert das alles? Genau, an „Lost in Translation“.

Dieser Film von 2002 war nach „The Virgin Suicides – Verlorene Jugend“ (1999) Sofia Coppolas zweite Regiearbeit. Zuvor war die Tochter des großen Francis Ford Coppola für ihre Auftritte als Schauspielerin, vor allem als Teenager Mary Corleone unter der Regie des Vaters in „Der Pate III“ (1990), übel verrissen worden waren. Der Erfolg mit „Lost in Translation“ kam für sie einer Art Neugeburt gleich. Geehrt mit drei Oscar-Nominierungen und dem Oscar-Gewinn fürs beste Originaldrehbuch aus ihrer eigenen Feder, war aus dem als untalentiert verleumdeten Töchterchen plötzlich Sofia Coppola, eine der wichtigsten Regisseurinnen ihrer Generation geworden.

Als Regisseurin setzte sie Meilensteine

An diesem Status hat sich seither nichts verändert, auch wenn keiner ihrer nachfolgenden Filme je wieder eine so große Popularität bei Publikum und Kritik erlangte. Ihre „Marie Antoinette“ von 2006 mit Kirsten Dunst in der Hauptrolle löste seinerzeit in Cannes sogar das aus, was man heute einen Shitstorm nennt, hat aber seither viele Fürsprecher gewonnen.

Mit dem Vater-Tochter-Drama „Somewhere“ (2010) konnte sie als vierte Frau den Goldenen Löwen in Venedig gewinnen. Für ihr Western-Remake „The Beguiled“ (2017) mit Nicole Kidman ehrte man sie in Cannes als zweite Frau der Festivalgeschichte mit der Palme für die beste Regie.

All diesen Meilensteinen zum Trotz ist der Film, auf den Coppola nach eigener Aussage immer noch am häufigsten angesprochen wird, „Lost in Translation“ geblieben. Mit dem vagen Gefühl von Krise und Entfremdung, das sie darin so meisterhaft als Gratwanderung zwischen Ironie und Selbstmitleid auf den Punkt brachte, können sich offenbar viele Kinogänger auf der ganzen Welt identifizieren.

Der Gedanke, davon eine Art Remake zu machen, wäre also gar nicht weit hergeholt. Im Fall von „On the Rocks“, Coppolas neuer Regiearbeit, spielte das aber wohl eher unbewusst eine Rolle. Abgesehen von der Tatsache, dass Bill Murray hier erneut die männliche Hauptrolle spielt, scheint sich „On the Rocks“, der nur kurz im Kino läuft und dann beim Streamingdienst Apple+ angeboten wird, in Handlungsort und -bogen zunächst völlig von „Lost in Translation“ zu unterscheiden.

Im Zentrum steht Laura (Rashida Jones), Mutter zweier reizender Kinder und verheiratet mit dem sympathischen Dean (Marlon Wayans). Sie dürfte, von ihrer New Yorker Wohnung her geurteilt, eher zu den wohlhabenden Menschen ihrer Umgebung gehören. Aber der innere Zustand, in dem sich Laura zu Beginn des Films befindet, dürfte auch den weniger privilegierten Müttern dieser Welt sofort verständlich erscheinen: Aus dem ausschließlichen Mutterdasein will sie zurück in den Beruf, in ihrem Fall das Schreiben finden. Aber sie hadert mit der eigenen Disziplin und vor allem mit dem eigenen Selbstbewusstsein, sowohl dem als Autorin als auch dem als Frau.

Alles ist Stimmung, Atmosphäre

Für ihre prekäre Stimmung besitzt ihr Vater, Felix (Bill Murray), eine Art eigener Antenne. Das Verhältnis von Vater zu Tochter ist nicht das Beste. Als Zuschauer erfasst man schnell, dass Lauras Eltern sich schon vor Langem haben scheiden lassen und Felix' Status als Frauenheld dafür ausschlaggebend war. Aber er ergreift im Folgenden immer wieder die Gelegenheit, seine Tochter aufzumuntern. Von unvorsichtigen Komplimenten wie „Frauen sind zwischen 35 und 39 am schönsten“ bis hin zu Verdächtigungen gegen Lauras Ehemann findet Felix dafür zwar nie ganz den richtigen Ton. Aber die gemeinsamen Aktionen bringen Vater und Tochter nach einigem Mäandern immerhin dazu, am Ende ein bisschen ehrlicher miteinander umzugehen.

Die Ähnlichkeit von „On the Rocks“ und „Lost in Translation“ liegt darin, dass es auf die Handlung nicht ankommt, sondern alles Wichtige als Stimmung und Atmosphäre verhandelt wird. Kein Schauspieler kann das besser als Bill Murray, dem Coppola hier sehr viel Raum gibt. Er kann seine Kunst ausspielen, jede Anstrengung im Schauspiel verschwinden zu lassen.

Man begreift als Zuschauer sehr wohl, dass Felix kein guter Vater ist. Dazu kommen sein notorisches Frauen-Anbaggern, seine wirren Theorien über Frauen. Aber weil es Bill Murray spielt, verzeiht man ihm alles. Was nicht als Kritik gegen den Film gewendet werden muss, im Gegenteil. So ähnlich ist es nämlich oft bei den eigenen Vätern. Und für diesen ganz alltäglichen Zwiespalt hat Coppola mit „On the Rocks“ wieder eine wunderbare Parabel geschaffen.

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