Salzburger Festspiele: Eklat um kastrierten "Ödipus"

Kleiner Eklat einen kastrierten
Kleiner Eklat einen kastrierten(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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"Tod in Theben" beim Young Directors Project im Republic: Regisseurin Angela Richter veränderte den Text des Erfolgsautors Jon Fosse. Die Schauspieler sind gut, speziell Oana Solomon und Yuri Englert.

Als Favorit für den Young Directors Award, der junges Festspieltheater belohnt, wird heuer „Tod in Theben“ von Jon Fosse gehandelt. Die deutschsprachige Erstaufführung der Salzburger Koproduktion mit angesehenen Off-Theater-Instituten (Kampnagel, Hamburg; Hebbel am Ufer, Berlin) war am 11. August im Salzburger Republic. Freitag (13.) freilich bekam das Publikum dort zusätzlich Diskussionsstoff geliefert.

Eine zerzauste Regisseurin (Angela Richter) trat hervor und bekannte, dass sie den dritten und letzten Teil der Produktion verändert und neuen Text, nicht von Fosse, eingefügt hat. Hernach gab es eine leicht kontroversielle Diskussion mit Besuchern.

Was ist zu sehen? Der norwegische Erfolgsautor Fosse, auch hierzulande vielfach und prominent präsent, raffte drei Stücke von Sophokles zu einer poetischen Nacherzählung zusammen: „Ödipus“, „Ödipus auf Kolonos“ und „Antigone“. Was dabei demonstriert wird, speziell wohl im Kontrast zur Peter-Stein-Version von „Ödipus auf Kolonos“ mit Brandauer, ist: In der Kürze liegt nicht immer die Würze. Die Schauspieler, speziell Oana Solomon als moderne, sinnliche und selbstbewusste Iokaste und Yuri Englert als Ödipus, sind gut. Die Wucht der Katastrophe erschließt sich jedoch bestenfalls halb, die Klärung des Textes durch Fosse bringt nicht so viel, wie man erwarten könnte. Die Aura, die das Original verströmt, wirkt gestört, speziell in der Enthüllung der Verbrechen. Das Eindrücklichste der Inszenierung ist die echte Leidenschaft zwischen Ödipus und seiner Ehefrau bzw. Mutter Iokaste. Der erste Teil des Abends ist dicht, im zweiten zerfasert die Aufführung, der dritte ist Improvisationstheater (kurz Impro genannt) mit den üblichen Aktualisierungen. Die Mimen erzählen von ihren Erlebnissen mit Orakeln, Kinderwunsch, unerwarteten Verführungen sowie beinahe tödlicher Kollision mit einer Straßenbahn.

Was bedeuten Orakel, Schicksal heute?

„Albern“ fand das in der Diskussion nach der Aufführung am Freitag eine Besucherin, sie hätte lieber Fosses Text bis zuletzt gehört. Eine andere Dame lobte den spannenden Brückenschlag ins Heute. Rasch fand man sich nach kurzer Irritation im freundlich akklamierenden Geplauder, was gewiss an den einnehmenden Erläuterungen Angela Richters und ihres Dramaturgen Jens Dietrich lag. Sie habe leider nicht schon Donnerstag dem Publikum die Textänderung erklären können, erzählte die Regisseurin, weil sie nach fünf Wochen erstmals ihren dreieinhalbjährigen Sohn wiedergesehen habe, der auf die Anmutung, die Mama müsse leider gleich wieder ins Theater, mit erbarmungswürdigem Klagegeschrei reagiert habe. Wer wagt da zu motzen, wenn die Bühnenkunst derart mit dem wirklichen Leben spielt? Jon Fosse, erzählte Richter, sei vom gestrichenen Finale in Kenntnis gesetzt worden. Die Begeisterung Thomas Oberenders, Schauspielchef der Festspiele, hielt sich zwar in Grenzen, aber er stimmte der Änderung zu, sofern sie dem Publikum kundgetan würde. Ob sich der kleine Eklat auf Richters Siegeschancen beim YDP-Award auswirken wird – dieser wird am 21. August verliehen –, bleibt abzuwarten.

Angela Richter ist die Frau des bildenden Künstlers Daniel Richter, der heuer Bergs „Lulu“ in Salzburg ausstattete, verfolgt aber eine eigene Karriere im Hamburger Avantgardemilieu und hat fast 20 Produktionen gemacht. Die 38-Jährige zeigte z.B. in Wien in der Garage X ihre Version von Maxim Billers Sex-Skandal-Roman „Esra“, mittel überzeugend, mit dem gleichen Bühnenbild versehen wie „Tod in Theben“: einem Wald aus Glühlämpchen von Katrin Brack. Bleibt abzuwarten, was Richter weiter zu bieten hat. Fürs Erste: nicht übel, aber auch nicht sensationell, was vielleicht an den selbst gebauten Hürden bei der Vorbereitung lag. bp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2010)

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