Neu im Kino

Ein bisschen Gift in jeder Pfanne

Mark Ruffalo spielt den Anwalt, der sich in „Dark Waters“ durch die Aktenberge des Chemiekonzerns DuPont ackert, um die Schuldigen zu suchen.
Mark Ruffalo spielt den Anwalt, der sich in „Dark Waters“ durch die Aktenberge des Chemiekonzerns DuPont ackert, um die Schuldigen zu suchen. Tobis Film
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„Vergiftete Wahrheit“. Der neue Film von Todd Haynes erzählt packend die Geschichte der US-Firma DuPont, die die krebserregende Wirkung ihrer Teflon-Pfannen vertuschte.

US-Verschwörungsthriller können von erschütternden Machenschaften handeln, doch wofür sie seit der Blütezeit des Genres in den 1970ern vor allem bekannt sind, ist ihr sachlicher Tonfall. Nicht große Gesten dominieren das Geschehen, sondern nüchterne Recherche, lange Büroaufenthalte und Gespräche zwischen Juristen oder Journalisten, die auf ihrer obsessiven Spurensuche zwar oft neurotische und paranoide Tendenzen entwickeln, aber nie ihren Sinn für die Vernunft verlieren. Was sie von Verschwörungstheoretikern abgrenzt.

Dass Verschwörungsthriller selten langweilen, ließe sich auf die Brisanz der Skandale zurückführen, die meist auf echten basieren oder auf diese anspielen. Doch das wäre noch zu wenig, wie „Vergiftete Wahrheit“, der jüngste Genrebeitrag von Todd Haynes, beweist.

Der durch eigenwillige Musikerbiografien („I'm Not There“) und seriöse Melodramen („Carol“) bekannt gewordene Autorenfilmer ruht sich nämlich nicht auf der Schockwirkung der heiklen Informationen aus, die er seinem Publikum über einen bekannten US-Chemiekonzern verrät. Er verbindet ihre Präsentation mit harscher Herrschaftskritik und feinfühliger psychologischer Figurengestaltung. Ein Crimedrama der besonderen Art – packend, verstörend und erhellend.

Der historisch verbürgte Fall, auf den Bezug genommen wird, betrifft die jahrzehntelange Vertuschungsstrategie des Industriegiganten DuPont, dessen Führungsriegen seit den 1950ern von der krebserregenden Wirkung einer toxischen Substanz aus ihren Laboren wussten – und diese dennoch weltweit in Umlauf brachten. Sie ist kleinteilig in jeder Teflon-Pfanne enthalten, wodurch einer Studie zufolge 99 Prozent der Weltbevölkerung das Gift in sich tragen. Außerdem erfährt man, dass das Unternehmen über Jahre den massenhaften Vergiftungstod seiner in den Produktionsstätten des Beschichtungsmittels schuftenden Arbeiter billigend in Kauf nahm und die Chemikalie sogar tonnenweise in die Flüsse und den Boden der Kleinstadt von West Virginia versenkte, wo es sie herstellen lässt.

Ein Anwalt, den es wirklich gibt

Die Spannung, die Haynes und Drehbuchautor Nathaniel Rich aus der Rekonstruktion des Verbrechens ziehen, steigern sie dadurch, dass sie es nicht als Einzelfall verharmlosen, sondern mit der Politik und Mentalität im Land verflechten. Verunreinigtes Trinkwasser ist in den desolaten Industriegegenden der USA keine Seltenheit. Der Klimawandel wird trotz sichtbarer Auswirkungen von vielen geleugnet. Der Präsident spielt die Gefahr einer Pandemie herunter. Eine gerade jetzt akute Frage schrillt dadurch auch für ein nicht amerikanisches Publikum: Was ist den Mächtigen die Gesundheit ihrer Untergebenen wert? Die provokativ-pessimistische Antwort des Films lautet: nichts. Aber ihr wird ein Hoffnungsschimmer entgegengehalten: Ein couragierter Anwalt, den es wirklich gibt und der das Unternehmen mehrfach verklagte.

1998 beginnt Rob Bilott, der ironischerweise für eine auf Mandanten aus der Industriewirtschaft spezialisierte Kanzlei arbeitet, mit der Auswertung riesiger Aktenberge aus dem Archiv von DuPont. Etliche Gerichtsverfahren und einen Massenbluttest später kämpft er sich Mitte der 2010er (die erzählte Zeit umfasst fast zwei Jahrzehnte) immer noch daran ab, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Mark Ruffalo spielt den von seinen Entdeckungen zunehmend zermürbten Familienvater eindringlich reduziert. Nur das allmählich zu einem Tick ausartende Zittern in seiner Hand und ein zwischenzeitliches Burn-out verschaffen Aufschluss über die prekäre seelische Verfassung des Mittelständlers, der an die Stelle bei Robert Musil denken lässt, wo es ungefähr heißt, dass nicht nur die Ekstasen der Romantiker und Mystiker, sondern auch die Nüchternheit eines Aufklärers von Rausch und Feuer erfüllt sein kann. Letzteres ist nicht verloschen. Der echte Bilott kämpft auch heute noch für Schadenersatzleistungen an seine kontaminierten Mandanten.

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