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Das erste Mal und dann der Tod

Unheilbar erkrankt: Eliza Scanlen als Milla in „Milla Meets Moses“ (Originaltitel: „Babyteeth“).
Unheilbar erkrankt: Eliza Scanlen als Milla in „Milla Meets Moses“ (Originaltitel: „Babyteeth“).Filmladen
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Schweigen und Rausch, dunkel und grell, alles liegt nah beieinander in diesem kuriosen Drama aus Australien: „Milla Meets Moses“, eine faszinierende Tragikomödie.

Es ist tragisch, wenn junge Menschen sterben. Sie hätten das Leben noch vor sich. Andererseits bleiben sie so von eventuellen Enttäuschungen und Trennungen des Erwachsenendaseins verschont . . .

In „Milla Meets Moses“ fällt der absehbare Tod der unheilbar erkrankten Titelheldin (Eliza Scanlen) mit ihrem ersten Mal zusammen. Dem leidenschaftlichen Beischlaf geht ein sonderbares Spiel voraus. Sie bittet den geringfügig älteren Titelhelden (Toby Wallace) darum, sie mit einem Polster zu ersticken. Er weigert sich. Sie schlafen miteinander. Danach begibt sie sich allein auf die Terrasse ihres Elternhauses, wo die aufdämmernde Sonne ein luzides, leicht rosafarbenes Licht in den Garten wirft. Wunschlos glücklich wirkt sie in diesem Moment. Der Tod bleibt unwillkommen, aber das gute Timing nimmt ihm seine Bedrohlichkeit.

Papageien in der Vorstadt

Romantischer als in „Milla Meets Moses“ lässt sich der Tod in einem Coming-of-Age-Drama kaum denken: Das Liebesleben eines Menschen beginnt und schließt mit einem niemals revidierbaren Happy End. Eine Todesfantasie, die man aus klassischen Tragödien, Kitschromanen und Kinomelodramen kennt, der Regisseurin Shannon Murphy in ihrem Kinofilmdebüt aber einen eigentümlichen Zauber abgewinnt. Die im vergangenen Jahr im Wettbewerb von Venedig angetretene Tragikomödie glänzt vor allem durch ihre tagtraumartigen Bilder. Die Konzentration auf die verliebte Wahrnehmung der Heldin beschwört eine enorme Strahlkraft und Farbenpracht in der ästhetischen Gestaltung ihrer suburbanen Lebenswelt herauf. Exotische Papageien mit buntem Gefieder flattern durch die australische Vorstadtkulisse. Discolichter blitzen über aufblühende Gesichter. Ein bleicher Himmel über wogendem Gewässer blendet in der finalen Rückblende helles Licht in die Kamera. Milla klammert sich im letzten Aufbäumen ihres Lebens an die Schönheit der Welt.

Obwohl die Finsternis des Todesthemas buchstäblich überfärbt und überblendet wird, unterliegt sie keiner Verdrängung. Den engsten Angehörigen bleibt immer anzusehen, dass sie die nahende Katastrophe hilflos macht. Die überdrehte Mutter (Essie Davis) schluckt in ihrem Kummer verschiedenste Psychopharmaka. Die Contenance des Vaters (Ben Mendelsohn) wirkt meist angestrengt. Niemals aber erliegt die dramatische Entwicklung der Verführung, die beiden Charaktere in offene Fallen laufen zu lassen. Der Vater schlägt die Option auf eine Affäre mit der Nachbarin, die ihm Ablenkung verschaffen würde, aus. Die Mutter spielt zur Beruhigung ein trauriges Klavierstück, wenn sie wieder in eine Spirale aus Übersprungshandlungen geraten ist. So dysfunktional die Familie auch anmuten mag, sie hält jedem Druck stand. Wodurch auch die Handlung von einer Eskalation in Zerwürfnisse und Zusammenbrüche verschont bleibt.

Umkehrung der Romeo-und-Julia-Logik

Das Herz der Erzählung ist aber die Romanze zwischen Milla und Moses. Während ihr Alltag von Musikstunden und Chemotherapie geprägt ist, lebt er auf der Straße, konsumiert Rauschmittel. Ihre Annäherung erfolgt nicht problemlos. Sie hat Klassenunterschiede, elterliche Widerstände und die abschreckende Wirkung einer zeitlich begrenzten Beziehungsperspektive zu überwinden. Dass die Vereinigung am Ende trotzdem klappt, ist klar, aber wie sie aus einer Umkehrung der alten Romeo-und-Julia-Logik resultiert, dennoch originell. Denn Millas Eltern verharren nicht in autoritärer Engstirnigkeit, sondern erwärmen sich bald für den räudigen Freund ihrer Tochter, lassen ihn sogar einziehen und beschenken ihn (der Vater ist Psychiater) mit verschreibungspflichtigen Drogen. Zugleich trägt die Unterteilung in abrupt beginnende und endende Kapitel dazu bei, dass die Stimmung des Films extremen Schwankungen unterworfen ist – von bedrückender Stille (Milla starrt vor sich hin) in beschwingte Festlichkeit (sie hat Geburtstag) und von andächtiger Melancholie (ihre Mutter spielt Klavier) in helle Aufregung (die Wehen eines schwangeren Partygasts setzen ein). Alles liegt nah beieinander in diesem kuriosen Drama: Tod und Geburt, Schweigen und Rausch, dunkel und grell.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2020)

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