Interview

„Ich bin für eine gewisse Steuerhoheit der Bundesländer“

(c) Die Presse/ Clemens Fabry
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Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) will die Coronakrise nützen, um die Unternehmen besser auf die Zukunft vorzubereiten. Für 2021 ist sie zuversichtlich.

Niederösterreich hat im November 2019 einen Wirtschaftsplan vorgestellt, der sich auch damit beschäftigt hat, wie man mit einem Abschwung umgeht. Da hatte man ja geradezu hellseherische Fähigkeiten bewiesen.

Johanna Mikl-Leitner: Es ist immer gut und wichtig, auf Krisenzeiten vorbereitet zu sein. Und Faktum ist auch, dass uns die Coronapandemie doppelt trifft: einerseits durch die Gesundheitskrise, andererseits mit der Wirtschaftskrise. Die Gesundheitskrise haben wir bislang mit unserer Landesgesundheitsagentur recht gut gemanagt. Darüber hinaus funktioniert bei uns auch das Contact Tracing noch immer sehr gut. Auch wenn die Situation für alle fordernd ist, werden wir auch diese Ausnahmesituation gut meistern.

Und die Wirtschaftskrise?

Wir haben schon beim ersten Lockdown unabhängig vom Bund Maßnahmen gesetzt, wie wir den Unternehmen in Niederösterreich helfen können. Es gab beispielsweise ein Haftungspaket für Kredite, um die Liquidität der Unternehmen zu sichern. Das gab es schon, bevor der Bund sein Milliardenhilfspaket präsentiert hat, das ja sehr gut ist – vor allem die Regelung für die Kurzarbeit. Seitens des Landes gibt es zusätzlich mehrere kleinere Pakete, die gezielt helfen sollen – etwa ein Tourismuspaket, ein Digitalisierungspaket oder zusätzliches Geld für den Breitbandausbau.

Hat das genügt?

Über den Sommer haben wir mit Wirtschaftsexperten noch ein Konjunkturprogramm erarbeitet, um der Wirtschaft zusätzlich zu helfen. Es wurde im September präsentiert und umfasst 229 Millionen Euro. Das sind für ein Bundesland ordentliche Beträge und soll den Wirtschaftsmotor am Laufen halten. Unser Ziel ist, nach der Krise noch besser aufgestellt zu sein als zuvor. Also nicht einfach eine Rückkehr zum Status quo, sondern es sollen die Weichen für die Zukunft gestellt sein.

Wie will man die Weichen stellen?

Vor allem mit drei Schwerpunkten: einmal durch verstärkte Regionalisierung, dafür ist mehr Geld im Budget vorgesehen. Zusätzlich gibt es die Haftungsübernahmen und Beteiligungsmodelle durch das Land, damit die Unternehmen gut durch die Krise kommen. Und als Drittes geht es darum, die Innovation zu fördern – in Forschung, Entwicklung und Digitalisierung. Wenn es an der Coronakrise etwas Positives gibt, dann ist es der Digitalisierungsschub auf allen Ebenen. Alle haben erkannt, dass digitale Kompetenz wichtig ist und zukünftig noch notwendiger sein wird.

Hat man in der Landesverwaltung darauf ebenfalls reagiert?

Das war bereits eine meiner ersten Aufgaben, als ich als neue Landeshauptfrau nach Niederösterreich gekommen bin: der Ausbau der Digitalisierung in der Verwaltung. Wir haben hier bereits einen sehr hohen Standard, und deshalb konnten auch bis zu 80 Prozent unserer Bediensteten ihre Arbeit im Home-Office erledigen.

Digitalisierung ist vor allem ein Thema für große Unternehmen, bei kleinen ist das noch nicht wirklich angekommen.

Deshalb gibt es in Niederösterreich auch ein eigenes Programm – Digi for Wirtschaft – im Umfang von 20 Millionen Euro, mit dem die Digitalisierung im Klein- und auch im Großbetrieb gefördert wird. Die Unternehmen erhalten bis zu 53.300 Euro für Digitalisierungsmaßnahmen – von der Erstberatung bis zur Umsetzung im Betrieb. Wir wollen den Umstieg von Betrieben in die digitale Welt bewusst fördern und begleiten, weil so auch Krisen besser bewältigt werden können.

Die erwähnten Beteiligungsmodelle: Dass sich die öffentliche Hand an einem Unternehmen beteiligt, ist ein ganz neuer Zugang für einen konservativen Politiker.

Im Gegensatz zum Wiener Modell wollen wir eben nicht in das unternehmerische Handeln eingreifen. Es geht hier um stille Beteiligungen. Der Vorteil für die Unternehmen ist, dass die Eigentumsverhältnisse unberührt bleiben, wir aber die Betriebe mit zusätzlichem Kapital ausstatten, damit sie handlungsfähig bleiben. Umgesetzt wird das von der NÖ Bürgschaften und Beteiligungen GmbH, Nöbeg.

Wie teuer kommt diese Krise das Land Niederösterreich?

Unser Ziel, nämlich 2021 ein ausgeglichenes Budget vorzulegen, haben wir aufgrund der Coronakrise über Bord werfen müssen. Zur Ankurbelung der Wirtschaft ist es auch wichtig, die Investitionen für 2020 und 2021 nicht herunterzufahren, um seitens der öffentlichen Hand auch größtmögliche Planungssicherheit zu geben. Wir investieren in diesen beiden Jahren rund 1,75 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen – von Hochwasserschutz über Straßenbau bis hin zum neuen Klinikum in Wiener Neustadt um 500 Millionen Euro. Und wegen des Budgets: Sobald es möglich ist, werden wir wieder auf den Pfad hin zu einem Nulldefizit zurückkehren.

Niederösterreich hat immerhin das Glück, nicht so stark vom Tourismus abhängig zu sein wie andere Bundesländer.

Nach vielen Jahren an Rekordwerten, ist auch bei uns der Tourismus um mehr als 30 Prozent eingebrochen. Im Besonderen der Seminar- und Wirtschaftstourismus, etwa rund um den Flughafen Schwechat. Da fehlen uns die internationalen Geschäftsreisenden, da gibt es massive Einbrüche. Wir haben mit unserer Tourismusstrategie 2025 aber ein klares Ziel vor Augen und werden auf die Erfolgsspur zurückkehren.

Früher gab es einmal ein Industrieviertel in Niederösterreich. Die klassische Industrie gibt es im Süden Wiens nicht mehr. Wollen Sie sie wieder ins Bundesland bringen, oder sind Sie froh, dass es diesen Bereich nicht mehr gibt?

Unsere Industriebetriebe sind ein wichtiger Faktor im Bundesland. Wir haben hier sehr viel an Know-how und „Hidden Champions“ – etwa im Waldviertel. Dort gibt es moderne Industriebetriebe, die etwa für die Flugzeug- und Autoindustrie produzieren – natürlich nicht in der Dichte wie einst im Industrieviertel, aber mit nationalem und internationalem Erfolg. Diese Beispiele gibt es in allen Landesteilen.

Erste Impfstoffe stehen vor der Genehmigung, wie zuversichtlich sind Sie, was die Coronakrise betrifft? Sehen auch Sie Licht am Ende des Tunnels?

Ich bin für das Jahr 2021 sehr zuversichtlich. Zum einen, was die Bewältigung der Gesundheitskrise betrifft, in der das niederösterreichische Unternehmen Polymun einen wesentlichen Beitrag zur Aufbereitung eines Impfstoffs leistet. Zum anderem bin ich auch zuversichtlich, was die Ankurbelung der Wirtschaft betrifft. Die Investitionsprämie wird beispielsweise sehr gut angenommen, der Konsum wird wieder anspringen. Und wenn die große Unsicherheit vorbei ist, werden die Menschen wieder optimistischer in die Zukunft blicken können.

Früher sah man Wien oft als Konkurrenzbundesland, mit dem man um Firmenansiedlungen kämpft. Ist das noch so?

Wir setzen auf eine gute Kooperation mit Wien. Es gibt eine gemeinsame Vermarktungsagentur, Vienna Region, mit der wir uns international präsentieren. Klar ist, wer welche Vorteile hat: Wien hat eher die wissensorientierten Firmen, denen es nicht so sehr auf die Fläche ankommt. In Niederösterreich setzen wir auf innovative Betriebe, die Fläche benötigen. Es gibt ein gutes Miteinander mit Wien, es ist für uns beide eine Win-Win-Situation.

Während des ersten Lockdowns in der Coronakrise zeigte sich, dass die Menschen wieder Lust auf das Land haben, dass sie aus der Stadt hinauswollen. Kann man den Trend in Niederösterreich schon feststellen?

Die Menschen schätzen und suchen die hohe Lebensqualität in Niederösterreich. Ich glaube, dieser Trend wird sich in der Zukunft noch weiter verstärken – vor allem dann, wenn etwa Home-Office-Lösungen noch stärker ausgebaut sind, als sie es bisher schon sind. Das wird künftig ein Bestandteil unseres Arbeits- und Lebensalltags sein – Menschen, die vielleicht drei Tage in der Woche in Wien und vier Tage in Niederösterreich verbringen. Ich sehe das als eine große Chance.

Das Problem ist aber, dass die Menschen mit der U-Bahn nicht nach Hause fahren können. Warum scheitert es seit Jahrzehnten, die Umlandgemeinden an die Wiener U-Bahn anzubinden?

Diesbezüglich haben wir große Pläne und führen auch intensive Gespräche mit Wien. Eine schnelle Verbindung in engem Takt ist wichtig – das muss jetzt nicht zwingend eine U-Bahn sein, das kann auch eine Schnellbahn oder die Straßenbahn sein. Entscheidend ist, dass die Menschen schnell und problemlos von A nach B kommen. Dafür braucht es ganz klare Entscheidungen, und ich hoffe, mit Wien und mit der Bundesebene zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.

Gibt es einen Zeithorizont?

Es gibt kurz- und mittelfristige Zielsetzungen. Relativ schnell gehen zum Beispiel Taktverdichtungen. In Klosterneuburg kann man jetzt schon im Zehnminutentakt nach Wien fahren. Das geht aber nur bis zu einem gewissen Ausmaß. Langfristig ist das Ziel einer besseren Anbindung des Umlands durch eine neue Stammstrecke durch Wien, aber das braucht eben Zeit.

Früher gab es oft die Forderung nach Steuerhoheit für die Bundesländer, davon hat man schon lang nichts mehr gehört. Funktioniert der Finanzausgleich so gut, oder hätten Sie doch gern die Möglichkeit, in Niederösterreich selbst Steuern einzuheben?

Ich bin für eine gewisse Steuerhoheit der Bundesländer, weil es eine Möglichkeit ist, eigene Akzente zu setzen und seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Ja, an der Steuerhoheit werden wir dranbleiben.

Welche Steuern würden Sie gern selbst bestimmen? Einkommensteuer, Körperschaftsteuer . . .

Zum Beispiel. Da gibt es einige interessante Aspekte, gerade bei der Körperschaftsteuer. In der aktuellen Situation ist das aber kein Thema, wichtig wäre jetzt einmal, den Finanzausgleich um zwei Jahre zu verlängern. Dann muss man ohnehin neu verhandeln – und da könnte man auch über eine gewisse Steuerhoheit der Bundesländer reden.

Information:

Johanna Mikl-Leitner, 1964 in Hollabrunn geboren, ist seit April 2017 Landeshauptfrau von Niederösterreich. Sie folgte in dieser Funktion Langzeit-Landeshauptmann Erwin Pröll nach. Mikl-Leitner begann ihre politische Karriere 1995 mit der Leitung der Marketingabteilung der ÖVP-Niederösterreich. 1998 wurde sie Landesgeschäftsführerin, 2011 wechselte sie als Innenministerin in die Bundesregierung. 2016 kehrte sie als Landesrätin für Finanzen nach St. Pölten zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2020)

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