Bildungschancen

Die Universität als fremdes Biotop

Mangels Vorbildern aus ihrem Umfeld fällt Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Schritt an die Uni besonders schwer.
Mangels Vorbildern aus ihrem Umfeld fällt Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Schritt an die Uni besonders schwer. Getty Images
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Für Menschen mit Migrationshintergrund ist der Weg zu höherer Bildung meist besonders beschwerlich. Für First-Generation-Students ist der Uni-Alltag oft fremd.

Die soziale Schere geht an der Uni weiter auseinander: Migrantinnen brechen häufiger ihr Studium ab und machen geringere akademische Abschlüsse“, sagt die Journalistin und ehemalige Lehrerin Melisa Erkurt. Sie ist selbst Migrantin und flüchtete mit ihrer Familie während des Jugoslawien-Kriegs von Bosnien nach Österreich. Erkurt ist eine von wenigen, die den Sprung in die Akademikerblase trotz ihres Migrationshintergrunds geschafft hat. Während 16,4 Prozent der autochthonen Österreicher 2014 einen Studienabschluss hatten, waren es gerade einmal 11,9 Prozent von jenen Menschen, die in Österreich geboren wurden, deren Eltern aber zugewandert sind.

Primär soziale Frage

Migrant ist dabei nicht gleich Migrant: Die Herkunft allein entscheide nicht über den Bildungserfolg, weiß Bildungsexperte Andreas Salcher. Vor allem die ökonomische Situation der Eltern und auch deren Ausbildung würden sich auf den Bildungsweg der Kinder auswirken. „Man muss aufpassen mit dem Thema Migranten – eigentlich geht es um bildungsferne Schichten. In denen sind Migranten aber überproportional vertreten“, sagt Salcher.

Das kann der zweite stellvertretende Vorsitzende der ÖH Graz Immanuel Azodanloo (Aktionsgemeinschaft) aus eigener Erfahrung bestätigen. Er hatte Glück, seine Eltern konnten ihn bei seinem Studium unterstützen. „Ich habe Migrationshintergrund und bin Perser. Ein Elternteil von mir hat eine akademische Karriere gemacht. Ich hatte die Möglichkeit, die Ausbildung zu machen, die ich wollte“.

Bildung wird in Österreich im Vergleich zu anderen Staaten stark vererbt. Entscheiden sich Jugendliche für einen Karriereweg, orientieren sie sich dabei großteils an ihrem Umfeld. Mangelt es an Vorbildern mit akademischer Ausbildung, schwindet die Wahrscheinlichkeit, selbst zu studieren. „Es ist ein Wagnis, an einen Ort zu gehen, den noch niemand in deiner Familie betreten hat“, so Erkurt.

Die Weichen zum Studium werden schon früh gestellt: Bereits in der Aufspaltung zwischen Mittelschule und Gymnasium. Migranten besuchen überproportional häufig Mittelschulen. Laut Erkurt schwindet damit schon in der Kindheit die Chance auf einen hohen Bildungsabschluss: „Mittelschulen sind weniger darauf ausgelegt, später eine höhere Schule zu besuchen und zu studieren. Da schließt man eher eine Lehre an.“

Schule legt Grundstein

Generell zählen Migrantenkinder zu den Verlierern des österreichischen Bildungssystems: Die Lehrerausbildung ist nicht auf Mehrsprachigkeit ausgelegt, viele Eltern mit Migrationshintergrund können ihren Kindern bei den Schulaufgaben nicht helfen. „Es setzt sich im Studium nur fort, was in der Schule passiert. Wenn Migranten insgesamt schlechtere Chancen in der Schulbildung haben, ist die Chance auf ein Studium gering“, fasst Salcher zusammen.

Um das zukünftig zu verhindern, muss schon früh angesetzt werden. Studien weisen darauf hin, dass Bildungsdiskriminierung vor allem im Kindergarten gut bekämpft werden kann. PISA-Spitzenreiter wie Finnland und Estland machen es vor: Fließen mehr Ressourcen in die Betreuung von Kindergartenkinder, können Ungleichheiten an der Wurzel bekämpft werden. Salcher fordert demnach einen Systemwechsel: „Wir geben wahnsinnig viel Geld für Mittelschulen aus – der Effekt ist überschaubar. Wenn wir einen Teil in die Kindergärten und Volksschulen investieren würden, wäre der Effekt viel größer.“

Viele Studierende mit Migrationshintergrund sind First-Generation-Students und damit die Ersten in ihrer Familie, die studieren. „Sie kennen die akademischen Codes nicht, sie fühlen sich da nicht wohl“, sagt Erkurt. Sie spricht aus eigener Erfahrung: Auch für sie war der Studienbeginn ein Irrgarten. Niemand aus ihrer Familie konnte ihr erklären, wie das System funktioniert. Erkurt war auf sich allein gestellt und brauchte mehrere Semester, um sich zurechtzufinden. Viele Migranten haben diese Zeit aber nicht. Finanzieller Druck und Zweifel von den Eltern führen häufig zum Studienabbruch. „Die Studieneingangsphase (STEOP) sortiert sie aus. Das ist arbeiterklassenfeindlich“, so Erkurt. Die neue Studiennovelle würde dieses Problem noch weiter verstärken: „Für Leute, die nebenbei arbeiten müssen, weil Eltern das Studium nicht finanzieren können, für jene, die Betreuungspflichten haben und jene, die sich erst zurechtfinden müssen, macht die neue Regelung alles noch schwieriger.

Hilfsangebote nutzen

Azodanloo von der ÖH der Karl-Franzens-Universität in Graz appelliert an alle Betroffenen: „Man soll sich nicht schämen, wenn man nicht weiterweiß, sondern aktiv nach Hilfe suchen.“ Das Referat für ausländische Studierende würde Beratung in mehreren Sprachen anbieten, auch der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen sei eine gute Anlaufstelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2021)

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