Migrationsforschung

Der schwierige Weg zu Vätern aus dem Patriarchat

In der Studie sollten Väter mit Migrationshintergrund erreicht werden (Symbolbild).
In der Studie sollten Väter mit Migrationshintergrund erreicht werden (Symbolbild).(c) imago images/Westend61 (Kiko Jimenez via www.imago-images.de)
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Was passiert, wenn ein Projekt keine Erfolgsgeschichte ist? Man kann trotzdem daraus lernen. Das zeigte sich in der Südtiroler Initiative „Papa grenzenlos“, in der Männer mit Migrationshintergrund erreicht werden sollten.

Ein Mann sagt am Telefon zu, sich am Projekt beteiligen zu wollen, ist aber momentan beschäftigt. Später geht er nicht mehr ans Telefon. Als er wieder abhebt, will er nicht mehr mitmachen. Ein anderer vereinbart einen Gesprächstermin, den er dann aber nicht wahrnimmt. Der Sozialarbeiter sitzt allein am vereinbarten Treffpunkt.

Szenen wie diese spielten sich im Projekt „Papa grenzenlos – papà senza confini“ häufig ab. Der Projektleiter der Sozialgenossenschaft „Väter aktiv“ im Südtiroler Meran, Michael Bockhorni, holte sich schließlich mit Hans Karl Peterlini vom Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung der Uni Klagenfurt wissenschaftliche Begleitung. Denn eigentlich hatte man Väter aus Familien mit migrantischer Herkunft einbinden wollen, um mehr über deren Situation im sogenannten Ankunftsland zu erfahren. „Das ist leider nur vereinzelt gelungen“, sagt Peterlini. Das Projekt lieferte vielmehr ein Protokoll, auf welche Hürden man in Inklusionsprojekten stoßen kann.

Rollenbilder wanken

Was die Sozialarbeiter und auch Peterlini erlebt haben, deckt sich mit Ergebnissen aus anderen Studien: „Die Väter zeigten Scheu und Misstrauen, wenn sie auf die Vaterrolle angesprochen wurden“, erzählt der Forscher. „Sie wollten sich nicht für ein Gespräch öffnen und darin ihre patriarchalischen Muster und Rollen infrage stellen lassen.“ Das Patriarchat selbst wurde also zur Haupthürde bei dessen Ergründung.

Eine These Peterlinis ist, dass die Männer durch ihre Teilnahme nicht schutzbedürftig wirken wollten: „Das spießt sich mit der patriarchalischen Struktur, in der sie ihre Familien selbstbewusst beschützen“, sagt er. Er weiß aus früherer Forschung zu Arbeitsmigration in Südtirol an der Uni Innsbruck, dass Migration zu einer Verunsicherung patriarchaler Strukturen führt. Diese würden dadurch infrage gestellt, die Männer müssten sich öfter dafür rechtfertigen. Zudem müssten sie häufig einer niedrigeren Arbeit nachgehen als zuvor. „Die Väter erfahren in der Regel einen Statusverlust“, so Peterlini. Von zwölf vereinbarten Interviews kamen schließlich nur drei zustande.

Ein Auszug aus einem Gesprächsprotokoll mit einem 45-jährigen Vater verdeutlicht die generelle Skepsis gegenüber Hilfsangeboten: „Jahrelang kamen die Mitarbeiter des Südtiroler Kinderdorfs zu uns nach Hause. Dies zu akzeptieren war für mich sehr frustrierend. Es war nicht angenehm, nach einem arbeitsreichen Tag eine fremde Person in der Wohnung anzutreffen. Ich bin schließlich kein Terrorist.“

Aber auch die Sprache – in Südtirol Deutsch oder Italienisch – dürfte als Barriere gewirkt haben: weniger aus Unkenntnis als aus Verunsicherung, weil es nicht die Muttersprache sei, so Peterlini. Der Einwandereranteil im Sozialsprengel Burggrafenamt, zu dem die Stadt Meran und die umliegenden Gemeinden gehören und der den Fokus des Projekts bildete, lag 2019 bei rund elf Prozent. „Die größten Gruppen stammen aus Albanien, Marokko, Pakistan und dem Kosovo“, sagt Peterlini.

Oft würden die Kinder die neue Sprache schnell besser sprechen als die Eltern. Wenn dann ein Vater darauf angewiesen sei, dass sein Sohn am Gemeindeamt oder am Meldeamt übersetzt und beim Ausfüllen der Formulare hilft, stärke das die Position des Kindes – und schwäche die des Vaters, erklärt Peterlini. Diese geschwächte Rolle wollen die Männer nicht auch noch in Gesprächen vor einem Publikum offenlegen, so die Vermutung.

Pandemie stoppte Projekt

Dabei wäre die von der Autonomen Provinz Bozen geförderte Initiative eigentlich dazu gedacht gewesen, Männern eine Gelegenheit zu bieten, sich untereinander auszutauschen: Auf die Erstgespräche sollten runde Tische folgen, die dann aber nicht mehr stattfanden. Das lag allerdings nicht allein an kulturellen Hürden, sondern am Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Frühjahr. Für die am Projekt Beteiligten eröffnete das immerhin den Raum, über das weitere Vorgehen nachzudenken.

Peterlini will das Thema jedenfalls weiterverfolgen. „Es bleibt wichtig“, sagt er und hat Migration und Familie zum nächsten Schwerpunkt des von ihm herausgegebenen Jahrbuchs für Migration und Gesellschaft gemacht. Es soll Ende 2021 erscheinen.

IN ZAHLEN

17Prozent betrug der Einwandereranteil 2019 in der Stadt Meran. Rund elf Prozent waren es im gesamten Sprengelgebiet Burggrafenamt, zu dem auch einige Umlandgemeinden gehören.

138
Nationen sind in ganz Südtirol vertreten. Die größte Gruppe von Personen mit anderer Staatsbürgerschaft kam mit einem Anteil von zwölf Prozent aus Albanien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2021)

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