Einwurf

Faschismus entsteht nicht über Nacht

Wir sollten den Holocaust-Gedenktag am 27. Jänner zum Anlass nehmen, um faschistische Anfänge aufzudecken.

Genau vor 76 Jahren, am 27. Jänner 1945, befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, in dem die Soldaten von den 1,1 Millionen Häftlingen nur noch 7000 Überlebende vorfanden. Seither gibt der 27. Jänner als Holocaust-Gedenktag Anlass für zahlreiche Veranstaltungen und Publikationen. Doch 2021 ist diese Gedenkpraxis nicht nur wegen des Coronavirus eine andere: Während es vor einigen Jahren noch KZ-Überlebende gab, die Schulklassen von ihren traumatischen Erfahrungen berichten konnten, gibt es heute praktisch keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr. Doch ohne die von ihnen transportierte Erinnerung werden die Gräueltaten des Holocaust von greifbaren Geschichten zur bloßen Geschichte. Und dass Geschichte, wie wir sie aus Büchern kennen, uns weit weniger prägt als Geschichten, die Gespräche im Hier und Jetzt füllen, wissen wir.

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Trotzdem gedenken wir dem Holocaust vornehmlich als geschichtliches Ereignis. Wir lehren den Holocaust als die Vernichtung von Juden durch Hitler und vergessen dabei den größeren Kontext einzubeziehen, in dem und durch den all das geschehen konnte. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn Politikerinnen und Gastredner behaupten, dergleichen könne „heute so nicht passieren“ und dies mit „der Aufgeklärtheit der europäischen Bevölkerung“ begründen. Zwar ist es wohl wahr, dass der Holocaust so nicht noch einmal geschehen würde – wobei sich das zynisch eher damit begründen lassen würde, dass es keine sechs Millionen in Europa ansässigen jüdischen Menschen mehr gibt. Doch spätestens bei diesem Argument müsste uns die Perversität der gesamten Behauptung auffallen!
Diese Art des Gedenkens nämlich unterminiert, dass der Holocaust weit mehr war, als eine geschichtliche Tragödie. Und auch die Beschreibung der Shoa als Folge des Antisemitismus ist zu kurz gegriffen. Vielmehr war der Holocaust Ausdruck eines grundlegend menschenverachtenden Weltbilds, und die Konzentrationslager die letzte Konsequenz ebendieser Ideologie.

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